Nr. 799 (German Edition)
mich noch immer verfolgte. Ich wischte den Gedanken an ihn beiseite, konzentrierte mich auf dieses seltsame Gefühl, das mich vorhin im Flur in Gegenwart der Leiterin heimgesucht hatte.
Eine Styroporphobie. Mein früheres Ich hasste Styropor und ekelte sich davor, genauso wie andere Leute sich vor Kreide oder Spinnen fürchteten. Merkwürdig. Wie hatte ich mich daran erinnern können?
Ich kniff die Augen zusammen, spannte meinen Körper an, versuchte zu meditieren oder so ähnlich, um mich wieder in diese Trance zu versetzen. Meine Erinnerungen zu suchen. Irgendwo mussten sie doch tief in mir drin versteckt sein. Das hatte mir dieses Gefühl bewiesen. Nun musste ich nur wieder dahin finden.
Ich dachte nach, angestrengt, grübelte, warf mich auf die andere Seite, spürte das viel zu weiche Kissen unter meinem Nacken und richtete mich wieder auf. Ich schwitzte aus allen Poren. Mein Gesicht fühlte sich hitzig an. Irgendetwas stimmte nicht. Plötzlich war mir speiübel.
Ich nahm das Kissen und warf es auf den Boden, dann lümmelte ich mich wieder unter die Bettdecke und zog die Beine an, wie ein Embryo lag ich im Bett und weinte stumm. Nichts. Leere. Schwärze.
Keine Erinnerungen. Immer noch nicht.
Hatte ich mir das vorhin womöglich nur eingebildet? Hatte es gar nicht stattgefunden?
Aber ... aber irgendwie konnte das nicht sein. Ich war mir sicher, dass da irgendetwas war, das ich jedoch nicht wirklich einordnen oder erkennen konnte. Als würde ich im Nebel umherirren, den Weg nicht kennen und mit meinen Händen durch die Luft tasten. Würde sich der Himmel irgendwann für mich lichten?
Ich dachte an das kleine Mädchen, Mia.
Nun fragte auch ich mich, wie sie gestorben war. Wollte ich es überhaupt wissen? Ich sah ihr unsicheres Lächeln vor mir, dachte an ihre Zahnlücken. Sie hatte gerade erst ihre Milchzähne verloren, sie hatte noch so viel vor sich gehabt.
Genauso wie ich , flüsterte eine Stimme tief in mir drin. Auch ich hatte noch so viel vor mir gehabt.
Ich konnte meine Tränen nicht mehr aufhalten, schluchzte, hielt mir den Mund mit den Händen zu, damit niemand mich hörte, damit insbesondere er mich nicht hörte. Irgendwann merkte ich selbst nicht mehr, wie meine Lider sich senkten und ich in einen traumlosen Schlaf glitt.
Ein Läuten. Ich fuhr hoch, hatte Mühe, meine Augen zu öffnen. Sie fühlten sich verquollen an. Mein Hals kratzte, als hätte ich eine Erkältung. Ich schniefte, wischte mir die Müdigkeit aus dem Gesicht und stieg aus dem Bett. Als meine nackten Füße den Fliesenboden berührten, begann ich vor Kälte zu zittern. Im Gegensatz zur letzten Nacht war mir plötzlich extrem kalt, als würde ich barfuß über Schnee laufen.
Schnell zog ich mir meinen Overall über und kämmte mir die Haare, sie waren wirklich verknotet. Leider gab es nirgendwo einen Spiegel. Obwohl, wenn ich es recht bedachte, war es mir so vielleicht sogar lieber. Ich wollte nicht wissen, in was für einem desaströsen Zustand ich mich gerade befand.
Nachdem ich mir gelbe Regenstiefel angezogen hatte, die ich in der Kommode entdeckt hatte, schlüpfte ich aus dem Zimmer.
Nur einen Moment später tauchte David im Flur auf, als hätte er auf mich gewartet. Er lief neben mir her und warf mir stirnrunzelnde Blicke zu. Irgendwann murmelte er: »Du siehst fürchterlich aus.«
»Das freut mich«, erwiderte ich. »Das war auch mein Plan.« Nach dem, was du gestern abgezogen hast , fügte ich in Gedanken hinzu.
Er schwieg und musterte mich weiterhin eindringlich, als würde er jede Stelle meines Körpers überprüfen. Irgendwann blieb sein Blick an meinen Haaren hängen. Er hob seine Hand und strich mir kurz über den Kopf.
»Was, was soll das denn?« Ich zuckte vor ihm zurück und sah ihn misstrauisch an.
»Da war eine lose Strähne, die abstand.« Er grinste leicht und sah schnell weg, ehe ich mich darüber aufregen konnte.
»Aha.« Ich fuhr mir nun selbst durch die Haare und wünschte mir, eine Haarspange oder Ähnliches zu besitzen, um sie irgendwie zu zähmen. »Vielleicht sollte ich sie einfach ganz kurz schneiden. Sie nerven mich extrem.«
»Nein«, unterbrach er mich und schüttelte entschieden mit dem Kopf. »Auf keinen Fall.«
»Was?« Seit wann durfte er denn darüber entscheiden, ob ich mir die Haare abschnitt oder nicht? Mein Kopf gehörte schließlich nicht ihm, oder? »Ich werde später Kimberly, die Sekretärin fragen, ob sie eine Schere für mich hat«, entgegnete ich frostig. Es waren immer
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