Nr. 799 (German Edition)
das nun ein Albtraum ist, ein übler Scherz oder die Wahrheit. Was auch immer. Ich kann sowieso nicht zurückschauen. Und du auch nicht. Nicht wahr?«
Er ließ sich meine Worte durch den Kopf gehen und nickte dann. »Ja, ja. Du hast natürlich Recht. Aber ich würde trotzdem viel lieber – ach, ich weiß nicht – einfach abhauen. Geht es dir denn nicht so? Warum wurden wir ausgewählt, um hier so 'nen Mist zu studieren? Das will uns niemand verraten. Und was untersuchen sie an uns? Irgendetwas stimmt hier nicht.«
»Ja, das habe ich mich vorhin auch gefragt«, wisperte ich.
»Und wer ist dieser Boss?«, überlegte David laut weiter. »Solange mir niemand Antworten gibt – und zwar keine halbgaren Lügen, sondern die Wahrheit – werde ich mich ganz sicher nicht auf die da einlassen.«
Das konnte ich gut nachvollziehen. Ich wusste ebenfalls noch nicht, wie ich weiter vorgehen wollte.
Nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten, fragte David mit heiserer Stimme: »Autounfall, hm?«
»Oh, ja«, nickte ich. »Offenbar Autounfall.«
»Gut, dass du dich nicht erinnerst.«
»Ja.« Ich zögerte, ehe ich fragte: »Und bei dir?« Dann ergänzte ich hastig: »Du brauchst nicht darüber zu sprechen, wenn du nicht möchtest.«
»Ich ... weiß es nicht«, flüsterte er. »Bevor sie mir den Grund nannte, habe ich sie gefesselt.«
»Fräulein Ing–?«
»Ja, Fräulein Idiotin Irgendwas. Wenn die noch einmal bei mir auftaucht, ich weiß nicht, ob ich mich beherrschen kann. Die wirkt so, so ...«
»Zugeknöpft«, schlug ich vor.
»Auch das«, lachte er. »Aber auch so, so falsch, verstehst du? Als hätte sie gar keine Emotionen mehr! Und die haben wir doch, oder? Jedenfalls ich habe sie noch.«
Emotionen. Oh, ja. Die überschwemmten mich gerade, während er mich mit durchdringender Miene musterte. Und sie fühlten sich viel zu verwirrend an. Alles war verwirrend. Dieser Ort, diese Leute, und ganz besonders er .
David richtete sich wieder auf und kam mit langsamen Schritten auf mich zu. »Oder, Hanna? Du fühlst doch noch was?«
In nur wenigen Sekunden stand er vor mir, hob seine Hand und legte sie – als wäre es völlig selbstverständlich – auf meine Brust. »Kein Herzschlag«, murmelte er anschließend, ohne dass ich den Sinn seiner Worte wirklich begriff. Kein Herzschlag? Warum hörte ich dann dieses merkwürdige Pochen in meinen Ohren, warum spürte ich dieses Flattern in meiner Brust? Es konnte nicht sein, dass mein Herz nicht schlug. Ich spürte es doch. Eindeutig. Es pulsierte in meiner Brust, während Nummer Achthundert mich mit seinen grauen – ja, diesmal war er mir nahe genug – Augen anlächelte. Waren es womöglich Phantomherzschläge ? Wie Phantomschmerzen?
Ich wusste es nicht und schnappte verwirrt nach Luft. Obwohl ich doch auch keinen Sauerstoff mehr benötigte, oder? ODER? Alles war so kompliziert, ich begriff rein gar nichts mehr, außer dass dieser Junge mit den grauen Augen vor mir stand, mich schief anlächelte, fast schon herausfordernd, als wollte er mich damit fragen: Na, fühlst du was?
Was sollte ich ihm nur antworten? Was konnte ich ihm antworten, ohne mich selbst zu demütigen?
»Hör auf«, flüsterte ich nur.
Mit einem wissenden Lächeln zog er seine Hand zurück und trat einen Schritt zurück. Sein Blick war triumphierend, zu triumphierend. Darüber ärgerte ich mich.
»Du solltest nun gehen«, sagte ich und räusperte mich.
»Natürlich«, entgegnete er locker und lief rückwärts zu meiner Tür. Sein Lächeln wich keine einzige Sekunde. Mit einer merkwürdigen Leichtigkeit drehte er sich anschließend um, verabschiedete sich kurz und verschwand aus meinem Zimmer.
Und ich blieb mit schwerem, pochendem, totem Herzen zurück und starrte ihm hinterher, blickte die Stelle an, wo er gestanden hatte, von der aus er mich unentwegt angelächelt hatte, und ich erinnerte mich an Destinys geflüsterte Worte: Sie sagen, dass er gefährlich ist. Warum sagten sie das? Und wer?
KAPITEL 6
Ich träumte nicht. Stattdessen lag ich auf der weichen Matratze, starrte an die Decke und dachte nach. Die Gedanken kreisten durch meinen Kopf, verwirrten mich, betäubten mich. Würde ich jemals einschlafen? Die letzten vierundzwanzig Stunden liefen vor meinem inneren Auge ab, immer wieder, bis ich alles einfach nur abschütteln wollte. Jeden Gedanken, jede Erinnerung, an diesen schrecklichen Tag, der zu viel für mich war. Tot. Ein Wort nur, das so viel Bedeutung besaß. Und David, dessen Lächeln
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