Nudeldicke Deern
ganz neue Art von Essen war, denn die letzten 20 Jahre hatte ich ja damit zugebracht, gutes von bösem Essen zu unterscheiden und mich konstant mies zu fühlen, weil ich das böse Essen nun mal lieber mochte als das gute. Dass «bewusste Ernährung» mich in den Mittelpunkt stellt und keine Ernährungstabellen, Studienergebnisse und Schlagzeilen, war für mich etwas ganz Neues. Wie – auf mich hören? Auf meinen Körper hören? Das hatte ich mir doch jahrelang bei jeder Diät abtrainiert. Deswegen war das eigentlich das Wichtigste, was ich in den Tagen des Foodcoachings gelernt habe: mich ernst zu nehmen. Auf mich zu hören. Mich nicht dafür zu verdammen, Lust auf Schokolade zu haben. Und was genauso wichtig war: zu lernen, dass ich sogar Lust auf Salat haben kann.
Auf diese Einstellung bezieht sich auch meine Widmung vorne im Buch. Der Satz, der bei mir all das in Bewegung gesetzt hat, von dem du in diesem Buch lesen wirst, lautet: «Du darfst alles essen, was du willst.» Lies das ruhig mal laut: «Du darfst alles essen, was du willst.» Klingt völlig anders als der ganze Kram, den du dir bis jetzt zu Herzen genommen hast? Vielleicht ist das der Grund, warum dein Verhältnis zum Essen ähnlich unentspannt ist wie meins. Essen hat heute so viele Funktionen bekommen, die weit darüber hinausgehen, uns einfach nur satt zu kriegen. Stattdessen machen wir uns einen Kopf um Kalorien, Kohlehydrate, Nährstoffe, Vitamine; unsere Nahrung soll uns vor Krankheiten schützen, uns älter werden lassen, uns dünner werden lassen – aber niemand sagt dir, dass deine Nahrung dich zuallererst einmal glücklich machen soll. Zufrieden. Ausgeglichen. Satt.
Gleichzeitig dient Essen inzwischen der Abgrenzung: Wer Neuengland-Hummer mit französischem Mineralwasser, in dem Eiswürfel aus grönländischen Gletschern schwimmen, zu sich nimmt, behauptet von sich selbst, einen anderen Status zu haben als diejenigen, die abends eine Portion Bratkartoffeln mit Speck verzehren. Nichts gegen Hummer und noch weniger gegen Bratkartoffeln, aber auch hier bekommt Nahrung einen Stellenwert, den sie gar nicht verdient hat. Sie macht satt, ja, aber gleichzeitig definiert sie ihren Esser oder ihre Esserin. Was gar nicht ihre Aufgabe ist, denn die ist immer noch: zufrieden, ausgeglichen und satt zu machen.
Essen hat auch eine moralische Komponente. «Darf ich das essen?» bezieht sich nicht immer auf Kalorien (wobei diese Frage sowieso eine ganz doofe ist, und ich hoffe, du stellst sie dir nie wieder), sondern inzwischen auch auf das Produkt selbst. Darf ich diesen Fisch noch essen, oder sorge ich damit für seine schrittweise Ausrottung? Darf ich diese Mango essen, die um die halbe Welt geflogen wurde? Darf ich im Winter Erdbeeren essen und im Sommer Chinakohl, wo doch der Saisonkalender etwas ganz anderes sagt? Eine eigentlich einfache Frage – was mache ich mir denn heute mal als Abendbrot? – wird zu einer komplexen Herausforderung, der viele Menschen irgendwann einfach ausweichen. Sie nutzen Fertigprodukte, um sich keine Gedanken um die Inhaltsstoffe machen zu müssen (die versteht ja eh niemand mehr), sie essen in Burgerketten oder Sandwichläden, damit sie sich die Frage, woher die einzelnen Zutaten kommen, erst gar nicht stellen müssen, und wer in einem heutigen Supermarkt steht, kann sowieso nicht mehr sagen, was gerade Saison hat und was nicht, weil alles immer und im Überfluss direkt vor unserer Nase liegt.
Und da beginnt das nächste Problem: die Überforderung. Es ist doch alles da – wieso weiß ich dann trotzdem nicht, was gut für mich ist? Wer sich jahrelang durch Diäten seine Instinkte und sein Hungergefühl abtrainiert hat, muss erst wieder lernen, dem eigenen Körper zu vertrauen. Ich hätte nicht geglaubt, dass es geht, aber – ich nehme schon mal eine große Pointe dieses Buchs vorweg – es funktioniert. Aber dafür muss man sich erst einmal überwinden und vielleicht jemanden um Hilfe bitten.
Für mich persönlich war es sehr hilfreich, dass mir jemand die ganz einfachen Grundlagen erläutert. So wie in den Biosupermärkten, wo Lu mir erklärt hat, was Mangold ist und was man so damit machen kann. Das ist auch etwas, was ich vom Coaching mitgenommen habe: keine Scheu mehr zu haben vor fremden Lebensmitteln. Selbst wenn ich nicht weiß, was Topinambur ist, kaufe ich das einfach, googele dann zu Hause nach Rezepten (oder mit dem Smartphone gleich am Gemüsestand) und koche dann etwas, was ich vorher
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