Nudeldicke Deern
man sich angeblich «nehmen muss», um zu kochen. Zum einen: Niemand muss sich für irgendwas Zeit nehmen. Das klingt so, als ob man sie abzwacken muss und sie dann irgendwo fehlt. Gut, ich gebe zu, ich kann «Das perfekte Dinner» nicht mehr so oft gucken, seit ich selber jeden Abend eins zubereite, aber das ist es wert; ich empfinde es nicht als Verzicht. Und das ist genau der Punkt: Wenn du etwas willst, dann ist die Zeit auf einmal auch da. Und zweitens: Sobald man weiß, wie großartig selbstgekochtes Essen schmeckt und wie befriedigend es ist, es zuzubereiten und zu genießen, vergisst man, dass es vielleicht ein bisschen länger dauert, als sich was vom Chinaimbiss um die Ecke mitzubringen. Das positive Erlebnis einer selbsthergestellten Nudelsauce bringt dich dazu, sie nochmal und nochmal und nochmal zu machen. Das ist wie mit deinen Lieblingsfilmen: Wenn du dir einmal, zweimal, dreimal eine romantische Komödie anguckst und dabei Spaß hast, wirst du dir auch noch eine vierte, fünfte und sechste angucken. Wenn dir die ersten drei Bücher einer Autorin gefallen haben, kaufst du dir wahrscheinlich auch das vierte. Und je öfter du kochst und je besser es dir schmeckt … genau.
Und selbst das Argument, dass Pizzabestellen schneller geht als selbst zu kochen, ist Quatsch. Auf die Pizza warten: 30 bis 60 Minuten, je nach Stadtgröße, Verkehr und Bestellzeitpunkt. Bratkartoffeln mit Rührei: 25 Minuten. Fertige Spaghetti mit selbstgemachter Tomatensauce: 30 Minuten. Mein persönlicher Rekord für Spätzle: zehn Minuten vom Eiaufschlagen bis zum Spätzleabschöpfen. Und wenn das Wasser nicht seine Zeit gebraucht hätte, bis es kocht, wäre ich noch schneller fertig gewesen. Ich schaffe es in unter einer Stunde, einen Kuchen in den und aus dem Ofen zu kriegen und ihn warm mit Puderzucker bestreut zu servieren. Meine Vanillekipferl dauern 45 Minuten mit Kühl- und Backzeit, meine rote Linsensuppe 30 Minuten, meine Gnocchi ebenfalls 30 (wenn die Kartoffeln schon gekocht sind, 15), eine Gemüsesuppe mit vorbereiteter Brühe 20 Minuten, Pfannkuchen 15. Ein Salat braucht zehn Minuten, ein Sandwich fünf. Das kann mir wirklich niemand erzählen, dass er oder sie keine fünf Minuten Zeit hat. Auch wenn Brotbelegen nicht ganz das Gleiche ist wie Kochen – selbst das ist besser als der Anruf beim Pizzamenschen. Und lohnender. Frag mal deine gute Laune, wie’s ihr nach was Selbsthergestelltem oder nach was Gekauftem geht.
Das Gute-Laune-Perpetuum-Mobile funktioniert übrigens auch bei anderen Dingen. Wochenmärkte haben ein anderes Angebot als Supermärkte. In diesen liegen jeden Tag Erdbeeren unter Neonlicht, während sie auf Märkten hauptsächlich im Mai und Juni, der Erdbeerzeit, zu finden sind. Im Supermarkt findest du auch im Dezember weißen Spargel, der dir auf dem Markt nur von April bis Juni angeboten wird (und auch nur dann so schmeckt, wie er schmecken soll). Und wenn du unbedingt im März Birnen essen willst, musst du dafür in den Supermarkt, denn die Saison von heimischen Birnen erstreckt sich von Juli bis November. Das sagt mir zumindest meine iPhone-App [12] , auf die ich neuerdings gucke, wenn ich Obst und Gemüse kaufe.
Obwohl ich auf dem Land groß geworden bin, habe ich peinlicherweise überhaupt keine Ahnung, wann was reif und schmackhaft ist. Ich habe mich so daran gewöhnt, immer alles im Supermarkt zu bekommen, dass ich erst wieder lernen musste, wann welches Obst Saison hat und damit deutlich besser schmeckt als in der Zeit, in der es vom anderen Ende der Welt zu uns gekarrt wird. Ich gebe zu, ich esse immer noch Pflaumen im Februar, wenn sie mich beim Spontaneinkauf anlächeln, aber ich habe mir angewöhnt, mehr auf die Saison zu achten. Was mich wieder zum Perpetuum Mobile bringt: Wenn du dich monatelang auf frischen Spargel freust, schmeckt er deutlich besser, als wenn du ihn gelangweilt jede Woche zubereitest.
Wo wir gerade bei Spontaneinkäufen sind. Jede Diät sagt dir: Geh bloß nicht ohne Einkaufszettel weg. Mach dir einen Plan und halte dich daran. Lass dich nicht von den bösen Lebensmitteln verführen. (So habe ich ja auch noch zu Foodcoaching-Zeiten eingekauft, wir erinnern uns.) Inzwischen will ich dir sagen: alles Quatsch. Wozu sind diese ganzen tollen Lebensmittel denn da, wenn nicht, um uns zu verführen? Deswegen sehen sie doch so aus, wie sie aussehen: das ganze Gemüse in seinem knackigen Grün, die prallroten Tomaten, die dunkelblauen Brombeeren, die
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