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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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einfach so rausgerutscht.
    Er antwortete nicht. Sein Schweigen ließ ihr Herz schneller schlagen; sie wusste nicht, ob sie die Antwort wirklich hören wollte.
    »Nein«, sagte er schließlich. »Nicht direkt.«
    »Sie hat mir geschrieben«, sagte Ella. »Sie hat geschrieben, sie müsse untertauchen, und ich sollte nicht versuchen, sie zu finden.«
    »Das ist richtig«, sagte Wagenbach, und sie konnte ihn trinken hören; das Glas stieß gegen seine Zähne. »Sie sollten nicht versuchen, sie zu finden.« Er schien zu überlegen. »Woher wissen Sie überhaupt, dass ich ihr Patient war? Woher haben Sie meinen Namen und meine Telefonnummer?«
    »Ich war in ihrer Praxis. Ich habe Ihren Anruf auf dem Anrufbeantworter gehört. Annika hatte ihn noch nicht abgehört.«
    »Das war vor drei Tagen«, sagte Wagenbach. »Seit einer Woche warte ich darauf, dass sie sich meldet.«
    »Sie haben von einer Akademie gesprochen. Was für eine Akademie meinten Sie? Die Academy of Solace aus dem Internet?«
    »Ich habe Ihnen schon viel zu viel erzählt. Bestimmt wird mein Telefon …«
    »Nur eine Frage noch, bitte! Wissen Sie, wo Annika sein könnte?«
    »Vielleicht.«
    »Wo?«
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen.« Er zögerte. »Nicht am Telefon.«
    »Wo dann? Können wir uns treffen?«
    »Belgrave Square Nummer 21.«
    »Wo ist das?«
    »In der Botschaft. Kommen Sie in die Botschaft. Morgen früh um neun.«
    »Wer ist hinter ihr her?«
    »Das ist nicht sicher. Wir haben jemanden im Verdacht.«
    »DI Cassidy?«
    »Nein, nicht DI Cassidy. Jemand anderes.«
    Er kennt Cassidy.
    »Aber warum?«, hakte Ella nach. »Warum will jemand Anni Jansen umbringen?«
    »Es geht um das Programm.«
    »Welches Programm?«
    »Morgen. In der Botschaft. Gute Nacht.« Er legte auf. Ella ließ das Handy sinken. Sie rieb sich die Augen. Sie war auf einmal schrecklich müde. Sie trat an das bullaugengroße Fenster, um den Vorhang aus brauner Kunstfaser zuzuziehen. Einen Moment lang stand sie da und sah zu den »Hyde Park Suites« hinüber, zu denen die weißen Häuser ausgebaut wurden. Obwohl es schon nach elf Uhr abends war, gingen hinter den Fassaden noch Arbeiter an den Fenstern vorbei, malten Türrahmen an, verputzten Wände oder verlegten Parkett oder Rohre im bläulich grellen Licht unsichtbarer Lampen. Und über allem stand ein blasser Perlmuttmond im tiefblauen Nachthimmel.
    Sie erinnerte sich daran, wie sie Annika vor einem Jahr gefragt hatte: »Wie konntest du dich bloß mit einem Schlägerbullen wie diesem Patrick einlassen?«, und wie Anni geantwortet hatte: »Meinst du, er kam da am Strand von Malle auf mich zu – in seiner sexy Badehose – und sagte: Hey, mein Name ist Patrick und ich verprügle Frauen? Nee, ich dachte, endlich mal ein richtiger Mann, klar, be stimmt, selbstsicher, der weiß, was er will, wenn er es sieht, und wie er es kriegt. Braun gebrannt, kurze blonde Haare, mit etwas zu frühem Silbergrau an den Schläfen, schneidende blaue Augen, muskulös, na ja, stämmig, hätte vielleicht eine Spur größer sein können, aber sonst … Wenn er einen Raum betrat, eine Bar, ein Restaurant, sonst was, folgten ihm die Blicke. Das Leben war ein ruhiger Fluss, bis er auftauchte. In seinem Revier wurde es schlagartig still, sobald er sich in der Tür zeigte. Sogar die Telefone hörten auf zu klingeln. Für seine Jungs war er Gott.«
    Ella betrachtete die Häuser, in denen so emsig gearbeitet wurde. Plötzlich hatte sie das Gefühl, die Männer wären einzig und allein dazu da, um sie auszuspionieren. Mit einem Ruck zog sie den Vorhang zu.

3 3
    Die Botschaft befand sich am Belgrave Square, auf der anderen Seite des Hyde Park, nicht weit von Harrods und Annis Wohnung entfernt. Es war das Eckgebäude einer Zeile aus vierstöckigen, weiß gestrichenen Reihenhäusern, mit Säulen im Halbrelief neben den Eingangstreppen, über denen die EU-Fahne und die deutsche Flagge einträchtig nebeneinanderhingen. An den Fenstern im ersten Stock fielen Gardinen in akkuratem Schwung nach beiden Seiten. Ein Zaun aus schwarzen Eisenstäben diente mehr der Dekoration als dem Schutz des knapp bemessenen Geländes.
    Auf den Fotos im Internet lehnten an dem Zaun keine Fahrräder, hinter den geschlossenen Fenstern zeigten sich keine Gesichter, und die Straße vor dem Gebäude war viel schmaler. Auf den Bürgersteigen stand auch keiner von den Polizeibeamten und Schaulustigen, die Ella bemerkte, als sie das Verkehrschaos aus Lieferwagen, Doppeldeckerbussen, Fahrrädern,

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