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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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eine Rufnummer zu hinterlassen. Nach dem Piepton, der die Anrufe voneinander trennte, sagte eine mechanische Frauenstimme: »Next call, Thursday, 19:47.« Danach folgte eine andere Frau, diesmal mit heller, menschlicher Stimme: »Hi, ich bin’s, Tori. Ich habe ihn wiedergesehen, im Fitness-Studio. Er lässt mir keine Ruhe. Ich würde ihn am liebsten umbringen nach allem, was er mir angetan hat. Ich weiß genau, dass er es war, und zwar als wir Sir Francis gedreht haben. Ich muss mit dir reden. Wo steckst du? Ich kann nicht bis zu meinem Termin morgen Nachmittag warten, wirklich nicht. Ruf mich zurück, ja? Bitte, bitte! Ich weiß nicht, was ich sonst tue. Ich arbeite die ganze Woche, aber du kannst mich jederzeit anrufen. Jederzeit! Ich warte. Ja? Bitte, melde dich unbedingt.«
    Auch keine Rückrufnummer.
    Und eine Pornodarstellerin mit Aids, die sich regelmäßig mit Rasierklingen schneiden musste, um überhaupt noch irgendwas zu spüren.
    Der nächste Anrufer nach dem Piepton hatte aufgelegt, und die mechanische Frau sagte nur die Nummer des Anschlusses, von dem aus telefoniert worden war. Ella notierte auch sie. Anschließend noch ein Mann, diesmal einer, der Deutsch sprach.
    »Annika, Markus hier. Ich … hättest du vielleicht Zeit, dass wir uns sehen? Ich weiß, dass ich die Therapie abgebrochen habe, und ich will auch keinen neuen Termin … Ich will nur … ich bin da auf etwas Merkwürdiges gestoßen, über das ich gern mit dir sprechen würde. Ich glaube … ich weiß, das klingt verrückt, aber ich glaube, jemand ist hinter mir her. Jemand von unseren Leuten hier. Es geht um die Academy. Meine Nummer hast du ja noch. Also, ruf zurück, bitte.«
    Die mechanische Frau erklärte, dass es keine weiteren Anrufe gebe, und das Band spulte zurück, bis eine rote Null auf dem Display des Apparats erschien. Ella griff nach dem Telefon und rief: »Hallo? Anni, bist du das?« Sie hörte nichts, keine Stimme, keine Atemgeräusche, kein Rauschen, kein Besetzt- und kein Freizeichen, nur Stille.
    Plötzlich erklang ein Glockenspiel, drei melodische Töne. Die Wohnungstür! Hastig stellte Ella das Telefon zurück, leise, obwohl von draußen kein Geräusch hereindrang. Das Glockenspiel wiederholte sich, der Uhr von Big Ben nachempfunden. Niemand zu Hause, dachte Ella, geh weg! Sie hielt den Atem an. Sie konnte ihr Blut in den Adern pochen fühlen und dachte, dass man ihren Herzschlag bis auf die Straße hören musste. Die Zeit schien stehen zu bleiben, während sie darauf wartete, dass ein Schlüssel ins Schloss geschoben wurde, das raspelnde Geräusch von Metall in Metall, das leise Klicken, mit dem ein Sicherheitsschloss nachgab. Die Stille war wie eine zweite Haut, die sich um sie zusammenzog, enger und enger, bis der Druck auf ihre Lunge unerträglich wurde. Am liebsten hätte sie laut geschrien.
    Nichts geschah. Kein Schlüssel im Schloss und auch kein Klingeln mehr. Nur die Stille.

3 1
    Das Treppenhaus war leer. Niemand stand vor der Praxistür, und niemand wartete auf dem Gehweg. Auch in den nahebei geparkten Autos konnte Ella niemanden entdecken. Von irgendwo drang das Heulen ferner Sirenen heran, verklang dann aber wieder. An einigen der Zäune flatterten rot-weiß-blaue Plastikfähnchen mit dem Union Jack darauf knatternd im Wind.
    Ich habe auch das Gefühl, dass Patrick mich beschattet. Ich dachte, ich hätte ihn gestern Nacht unten auf dem Platz im Licht einer Laterne gesehen, aber vielleicht war es nur Einbildung, eine Halluzination. Oder ein Déjà-vu.
    Ella blieb einen Moment stehen und dachte: Nicht stehen bleiben! Also ging sie schnell weiter in Richtung Harrods. Während sie ging, überlegte sie, ob sie noch einmal versuchen sollte, Patrick Cassidy zu erreichen. Sie holte ihr Handy heraus, nur um ganz sicherzugehen. Keine Anrufe.
    Was soll ich machen, wenn er sich nicht meldet, Anni? Noch einmal in Whitechapel anrufen? Einfach hingehen und warten, bis er auftaucht? Und was bedeutet es, dass er sich nicht meldet? Du kennst ihn besser als ich.
    Gib ihm noch etwas Zeit, Ella. Er muss das Gefühl haben, dass er die Zügel in der Hand hält. Es war immerhin eine gute Idee, ihn anzurufen und damit wissen zu lassen, dass du dich in London aufhältst.
    Meinst du?
    Ja, obwohl er es bestimmt längst wusste. Ich wette, du stehst seit deiner Ankunft in Heathrow unter Überwachung, und wenn du dich nicht bei ihm gemeldet hättest, wäre er davon ausgegangen, dass du Ärger machen willst. So ist es besser. Jetzt hält

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