Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
Vom Netzwerk:
ziehen sollte, entschied sich aber dagegen. Wenn sie beobachtet wurde, was ganz offensichtlich der Fall war, war sie hier genauso sicher oder unsicher wie an jedem anderen Ort.
    Sie wählte noch einmal die Nummer des Polizeireviers Whitechapel. »Metropolitan Police Whitechapel, Constable Green«, meldete sich ein Beamter.
    »Was ist aus Constable Brown geworden?«, fragte Ella.
    »Sorry?«
    » Never mind. Könnten Sie mich mit Detective Inspector Cassidy verbinden?«
    »DI Cassidy ist unterwegs. Kann ich Ihnen weiterhelfen?«
    »DI Cassidy ist offensichtlich ein vielbeschäftigter Mann«, meinte Ella, die ihren Unmut kaum verbergen konnte. »Richten Sie dem DI aus, dass Ella Bach noch einmal angerufen hat.«
    »Wäre das dann alles?«
    »Nein, Constable Green.« Ella merkte, wie ihr Geduldsfaden zu reißen drohte. »Sagen Sie ihm: Ich möchte die Leiche meiner Freundin sehen!«
    Sie unterbrach die Verbindung und legte das Handy neben sich auf die Tagesdecke aus dunkelrotem Nylon. Sie holte die Porno-DVDs aus der Handtasche, die sie vor ihrem überstürzten Aufbruch aus Annis Regal genommen hatte, ohne genau zu wissen, wozu. Jetzt betrachtete sie das Cover und die Rückseite der Hülle, beide bedruckt mit rosig glänzenden, weit geöffneten Körperöffnungen und erigierten Penissen, die im Begriff standen, voller Stolz in diese haarlosen, feucht glitzernden Öffnungen einzudringen. Ob es sich bei Candy Carbonara um die Tori vom Anrufbeantworter handelte? Ella studierte die Liste der Schauspieler und Crew-Mitglieder: Fabio Tempesto, Sharon de Sade, Dino Pronto – wer dachte sich solche Namen aus? Der Produzent, der Regisseur, die Darsteller selbst?
    Sie versuchte, sich präzise an die Anrufe zu erinnern, die sie am Nachmittag in der Praxis mitgehört hatte. Es waren die einzigen Spuren, denen sie nachgehen konnte; ihre einzigen Anhaltspunkte.
    Ein Mann namens Elliot Trout, der wütend und verletzt geklun gen hatte; eine junge Frau – Tori oder Candy –, die in einem Fitness-Studio jemandem wiederbegegnet war, einem Mann, der ihr etwas angetan hatte, bei den Dreharbeiten zu einem Film mit dem Titel Sir Francis, vielleicht einem Porno. Und ein Deutscher mit Namen Markus, den neue Erkenntnisse über die Academy beunruhigten und der sich von seinen eigenen Leuten verfolgt fühlte.
    Wer sind diese Leute, Anni? Handelt es sich womöglich um die Academy ofSolace, die sich auch auf meiner LifeBook-Seite gemeldet hat? War er der unheimliche letzte Patient, von dem du mir geschrieben hast? Nein, halt, zurück: Elliot Trout war nicht der richtige Name des ersten Anrufers. Er hatte gesagt, er nenne sich jetzt so.
    Abgesehen von diesen drei Anrufern blieb Ella nur noch die Nummer desjenigen, der keine Nachricht hinterlassen hatte. Sie suchte den Zettel, auf dem sie seine Nummer notiert hatte, und wählte sie. Hallo, ich bin eine Freundin von Annika Jansen, wann haben Sie das letzte Mal mit ihr gesprochen? Wissen Sie vielleicht, ob sie noch lebt?
    Das Freizeichen. Es klingelte und klingelte. Ella wollte gerade abbrechen, als ein Klicken ertönte und eine Männerstimme sagte: »Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. Guten Abend. Embassy of the Federal Republic of Germany. Good Evening. «
    »Guten Abend«, sagte Ella überrascht, fing sich aber sofort und sagte: »Ich habe einen Anschluss gewählt, der wohl nicht mehr besetzt ist.« Sie nannte die Nummer. »Ist das die Durchwahl von einem Angehörigen der Botschaft?«
    »Ja.«
    »Könnten Sie mir sagen, wann ich jemanden unter dieser Nummer erreichen kann?«
    »Morgen früh ab neun.«
    »Jetzt könnte mir niemand helfen?«, fragte Ella. »Vielleicht ein Kollege von Herrn … Entschuldigung, ich weiß nie, wie man den Namen richtig ausspricht …«
    »Wagenbach«, sagte die Männerstimme.
    »Richtig – Karl Wagenbach«, sagte Ella.
    »Markus Wagenbach«, verbesserte der Mann. »Worum geht es?«
    »Etwas Privates«, erklärte Ella rasch. »Ich versuch’s einfach morgen früh nochmal.«
    Ella unterbrach die Verbindung und schrieb den Namen Wagenbach hinter die Nummer auf ihrem Notizzettel, in Klammern Deutsche Botschaft . Ihr fiel ein, dass Anni in ihrem Brief die Botschaft erwähnt hatte, aber sie erinnerte sich nicht mehr genau, in welchem Zusammenhang.
    Der Brief! Sie suchte das Kuvert unter ihren Sachen im Koffer. Es war noch da! Ella öffnete es und faltete den Stapel eng beschriebener Bögen auseinander. Sie hatte angefangen, Stellen zu markieren und zu unterstreichen,

Weitere Kostenlose Bücher