Null
die Träume nun tatsächlich vorbei waren – und wie, wenn dem so war, sein Leben aussehen würde.
Nava versuchte, Dr. Tverskys Foto aufzurufen, aber da war nichts. Grimes war wohl gerade dabei, die Bilder auf dem Server zu aktualisieren; sie musste später noch einmal nachschauen, um zu erfahren, wie ihr Opfer aussah.
Als Nächstes überflog sie die persönlichen Daten. Zweimal verheiratet, zweimal geschieden, lebte Tversky allein in einer bescheidenen kleinen Wohnung. Seine erste Ehe war wegen «unversöhnlicher Gegensätze» in die Brüche gegangen, und seine zweite Frau hatte Tversky geistigeGrausamkeit und Ehebruch angelastet. Angeblich hatte er eine Affäre mit einer seiner Studentinnen.
Über eine solche Affäre hätte sich die zweite Mrs. Tversky eigentlich nicht zu wundern brauchen, wenn man bedachte, dass auch sie bei Tversky studiert hatte und wahrscheinlich der Grund für das Scheitern seiner ersten Ehe war. Nava nahm sich vor, Grimes zu bitten, die Telefonkonten von Tverskys Studentinnen zu checken, um festzustellen, mit welcher er zurzeit schlief. Nach dem, was Nava über Grimes gehört hatte, würde es ihm Spaß machen, in Tverskys Geschlechtsleben herumzuschnüffeln.
Nava würde diese Information wahrscheinlich gar nicht brauchen, aber sie war der Auffassung, dass man gar nicht gut genug vorbereitet sein konnte. Wenn sie Tversky entführen musste, war es nützlich, jede Einzelheit seines Privatlebens zu kennen, um ihn besser zermürben zu können.
Anschließend widmete sie sich seinem Lebenslauf. Er hatte mit neunzehn das College abgeschlossen und dann an der Caltech einen BSc in Mathematik und einen MA in Biologie gemacht. Er hatte an der Johns Hopkins promoviert und dort noch, bevor er vierundzwanzig wurde, seinen Doktor in Biometrie gemacht. Anschließend glich sein Lebenslauf einem Verzeichnis der führenden Universitäten: Stanford, Penn, Harvard und Columbia. Er erhielt Forschungsstipendien von den
National Institutes of Health
, von der Weltgesundheitsorganisation WHO vom
Center for Disease Control
und, nicht weiter verwunderlich, von der NSA.
Nava schüttelte den Kopf. Noch so ein Genie, das glaubte, mit der Unterstützung seiner Regierung die Welt verändern zu können. Ja, natürlich gaben sie ihm Geld,aber letztlich war er nichts weiter als ein politisches Werkzeug. Auch sie war einmal naiv gewesen, eine Waffe der Regierung ihres Heimatlands. Doch durch eine glückliche Wendung der Weltgeschichte hatte sich das alles vor über einem Jahrzehnt geändert.
Dass sie nun ein freier, ungebundener Mensch war, war angesichts ihrer kommunistischen Erziehung eine Ironie des Schicksals. Sie bezweifelte, dass Dimitri damit einverstanden gewesen wäre, aber hätte er ihr einen Vorwurf daraus gemacht? Sie war sich da nicht so sicher. Aber es spielte auch keine Rolle. Dimitri Saitzew war längst tot, und Tanja Aleksandrova auch – das Mädchen, das sie gewesen war, ehe sie Nava Vaner wurde.
Ihre Identität zu ändern fühlte sich an wie das Anziehen einer neuen Jeans. Es war zunächst unbequem – zu eng an einigen Stellen, zu weit an anderen. Doch im Laufe der Zeit machte sie sich diese neue Identität so vollkommen zu Eigen, dass sie ihr schließlich passte wie eine zweite Haut. Nach einiger Zeit begann sie, Tanja zu vergessen, bis sie schließlich weiter nichts mehr war als eine ferne Erinnerung, wie eine alte Freundin, die sie seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen hatte.
Jetzt war Nava niemand mehr. Keine Loyalitäten, keine Familie, kein Vaterland, keine Konsequenzen. Sie lebte schon so lange so, dass sie gar nicht mehr wusste, wie es war, wirklich etwas zu empfinden. Nava wollte das ändern, wusste aber, dass das erst nach ihrem Ausstieg möglich war. Sie würde ein neues Leben beginnen, aber diesmal würde sie es richtig machen. Das Einzige, was ihr noch im Weg stand, waren Dr. Tversky und seine Testperson Alpha.
Sie musste die Identität dieser Testperson binnen der nächsten 36 Stunden ermitteln. Wenn sie aus seinen Datennicht genug Informationen zusammenbekam, war sie gezwungen, Tversky zu observieren. Wenn auch das nichts brachte, musste sie sich die Information gewaltsam besorgen. Wenn es einmal so weit kam, musste sie den Doktor gefangen halten, bis sich die Testperson Alpha in ihrer Gewalt befand. Entweder das, oder sie musste ihn töten. Keine der beiden Optionen gefiel ihr.
Es musste doch einen einfacheren Weg geben, irgendeinen Anhaltspunkt in seinen
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