Null
sagte Nava.
Grimes nahm noch einen Bissen, kaute mit offenem Mund und sah an die Decke. Offenkundig verstand er den Fingerzeig nicht.
«Also, wenn sonst nichts ist, mache ich mich mal wieder an meine Arbeit», sagte Nava.
«Klar, kein Ding», sagte Grimes, machte aber keine Anstalten zu gehen. Nava schenkte ihm einen vernichtenden Blick. «Schon gut, schon gut, ich geh ja schon. Ich wollte Ihnen doch bloß ein bisschen Gesellschaft leisten.» Er stand auf und ging, blieb nach ein paar Schritten abernoch einmal stehen. «Apropos», sagte er und drehte sich um, «wie haben Sie denn von David Caine erfahren?»
Nava behielt ihr Pokerface bei. «Wie meinen Sie das?», fragte sie ganz ruhig.
«Na, Sie haben sich doch gerade seine Daten angesehen, oder etwa nicht?»
«Wie kommen Sie darauf?», fragte Nava.
«Ich komme darauf, weil ich es weiß, Baby», sagte Grimes und biss noch einmal in den Apfel. «Ich markiere alle Dateien, an denen ich arbeite, damit ich sehe, wer wann darauf zugreift.»
«Und warum haben Sie an der Datei David Caine gearbeitet?», fragte Nava gespielt schüchtern.
«Dr. Jimmy – ich meine Forsythe – will die Informationen, die wir über Caine haben, ehe Sie ihn sich morgen schnappen.»
Nava war verwirrt. Sie ließ die Hände sinken, berührte die Waffe in ihrem Knöchelholster. Sie widerstand der Versuchung, ihm mit dem Griff eins überzubraten. Ganz nonchalant sagte sie: «Ich wusste noch gar nicht, dass ich mir morgen jemanden ‹schnappen› soll – und schon gar nicht David Caine.»
«Na ja, es ist noch nicht offiziell, aber ich weiß, was Dr. Jimmy denkt. Er wird Caine so schnell wie möglich hier haben wollen.»
«Und warum?»
Grimes sah sie an, als wäre sie plemplem.
«Weil er Testperson Beta ist.» Er nahm noch einen letzten Bissen von dem Apfel und warf das Kerngehäuse dann in Richtung eines Mülleimers. Es prallte am Rand ab und landete auf dem Boden. Grimes machte keine Anstalten, es aufzuheben.
«Ich habe Tverskys Rechner neulich mit einem Wurminfiziert», sagte er stolz, «und wenn er eine Datei löscht, von der er irgendwo anders noch einen Backup hat, schickt mir sein Rechner automatisch eine Mail. Heute Nacht gab es einen Volltreffer. Tversky hat offenbar kurz vor Mitternacht alle seine Dateiordner geleert. Das meiste davon hatte ich bereits, aber eine neue Datei enthielt eine komplette medizinische Akte von David Caine, und dort wird er als Testperson Beta bezeichnet.
Und weil ich das noch niemandem gesagt habe, habe ich mich gefragt, woher Sie davon wissen.»
«Persönliche Überwachung», sagte Nava, als würde das alles erklären.
«Oh, Sie haben gesehen, wie er sich mit Tversky getroffen hat?», fragte Grimes beeindruckt. «Ich steh auf solche Spionagesachen. Cool. Jedenfalls: Weil es Dr. Jimmy so nervt, dass er nicht weiß, wer Testperson Alpha ist, wird er bestimmt sofort Testperson Beta schnappen lassen wollen.»
Nava nickte.
«Ach, na ja. Ich muss zurück zu meinem Rechner. In fünf Minuten fängt ein Halo-Turnier an. Bis später.» Ohne eine Antwort abzuwarten, trat Grimes in die Dunkelheit, hin zu einer zweiten Lichtinsel am Ende des Ganges. Nava fuhr sich mit einer Hand durch ihr dichtes Haar. Wenn Grimes mit Forsythe Recht hatte, war jetzt alles noch verzwickter.
Sie hätte gern genauer überlegt, was sie tun sollte, aber ihre Zeit lief ab. Schnell rief sie beim New Yorker Bauamt den Grundriss von Caines Wohnung ab, schnappte sich dann ihren Mantel, einen Rucksack und einen großen schwarzen Seesack und lief zum Ausgang. Auf der Straße winkte sie sich ein Taxi herbei.
«945 Amsterdam», sagte sie zu dem Fahrer. Das Taxi beschleunigte,sie wurde in den Sitz gedrückt. Nava tastete nach ihrer Waffe und schloss die Augen. Es waren noch gut hundert Blocks bis zu seiner Wohnung. Ihr blieben also noch mindestens fünfzehn Minuten, eine Entscheidung zu treffen.
Als Caine dem Haus, in dem er wohnte, näher kam, sah er auf der kleinen Veranda vor dem Eingang einen Obdachlosen liegen. Der Mann tat ihm Leid, zum Teil, weil Caine annahm, dass er selbst bald auch kein Dach überm Kopf mehr haben würde. Auf der Veranda angelangt, bückte er sich und drehte den Mann vorsichtig auf den Rücken.
«Hey, alles in Ordnung mit –» Er verstummte, als er das blutige Gesicht des Mannes sah. Es war sein eigenes. Einen Augenblick lang glaubte Caine, wahnsinnig zu werden, dann kehrte seine geistige Gesundheit wieder, kam zurückgeschnellt wie ein
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