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Null

Null

Titel: Null Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
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gefasst hatte, widmete sie sich wieder seinem Knie. Aus irgendeinem Grund schien es nicht mehr so schlimm zu schmerzen.
    «Was haben Sie gemacht?», fragte er.
    «Eine örtliche Betäubung. Das müsste den Schmerz verringern, jedenfalls solange ich die Knorpelschäden versorge.»
    Er sah sie zum ersten Mal richtig an. Caine konnte sich nicht erinnern, jemals eine so athletische Frau gesehen zu haben. Ihr figurbetontes schwarzes Tanktop unterstrich die straffen Muskeln ihrer Schultern und Arme. Ihr Bauch war flach, ihre Beine lang und kraftvoll, ohne ein Gramm Fett.
    Ihre Haut war makellos und von dunkeloliver Farbe; sie hatte ausgeprägte Züge, ihr langes, walnussbraunes Haar war zu einem zweckmäßigen Pferdeschwanz gebunden und offenbarte ein Gesicht, das wunderschön gewesenwäre, wenn sie gelacht hätte. Doch stattdessen war ihr Mund eine verschlossene, waagerechte Linie, und ihre Augen waren kalt und leer.
    «Wer sind Sie?», fragte er schließlich.
    «Mein Name ist Nava Vaner.»
    «Nein, ich meine   … wer sind Sie? Warum haben Sie mich gerettet? Was wollen Sie?»
    «Das ist eine schwierigere Frage.» Nava seufzte und strich sich mit dem Handrücken über die Stirn. «Ich weiß nicht einmal, ob ich sie mir selbst beantworten kann.»
    Caine schwieg einen Moment lang. Dann sagte er nur: «Versuchen Sie es.»
     
    Nava starrte David an und spürte das intensive Verlangen, ihm alles zu erzählen. Sie war so lange allein gewesen und hatte so gut mit der Lüge gelebt, dass sie fast die Wahrheit vergessen hatte. Obwohl es ein Risiko war, kam es ihr wie die sicherste Sache der Welt vor, ihm ihre wirkliche Geschichte zu erzählen. Die Stimme in ihrem Kopf, die Stimme, die sie in all diesen Jahren am Leben gehalten hatte, schrie sie an, sie solle lügen.
    Sie spürte aber deutlich, dass es gut wäre, wenn sie es ihm einfach erzählte. Und dann war da Julia. Bisher war alles, was sie gesagt hatte, wahr geworden – und sie hatte Nava erzählt, dass David Caine der eine Mensch war, dem sie vertrauen konnte. Während sie nachdachte, fuhr Nava fort, seine Wunde zu reinigen.
    Er schien zu verstehen. Er drängte sie nicht und versuchte nicht, die Stille mit leerem Geschwafel zu füllen. Vielmehr wartete er und biss sich auf die Zähne angesichts der heftigen Schmerzattacken, als sie behutsam Metall- und Glassplitter aus seinem Fleisch zog. Schließlich schaute sie ihn an. Sie war bereit.
    «Ich habe Sie angelogen», sagte sie mit fester Stimme. «Mein wirklicher Name ist nicht Nava Vaner, auch wenn ich ihn schon seit über zehn Jahren benutze. Als ich geboren wurde, haben meine Eltern   …» Sie hielt inne, überrascht, welche Gefühle hochkamen, wenn sie nur an die beiden dachte. «…   meine Mutter nannte mich Tanja Kristina.» Nava holte tief Luft und war endlich so weit, ihre Geschichte zu erzählen.
    «Ich war zwölf Jahre alt, als sie starb.»

Kapitel // 18 //
    «Es geschah bei einem Flugzeugunglück», sagte Nava. Sie erinnerte sich an die Nacht, als wäre es gestern gewesen. «Eigentlich wollte unsere ganze Familie verreisen. Es sollte mein erster Flug werden, doch in der Woche davor hatte ich einen Albtraum   … und deshalb weigerte ich mich mitzukommen.
    Mein Vater blieb mit mir zu Hause, aber meine Mutter und meine Schwester sind geflogen.» Nava hielt inne. «Sie sind nicht mehr zurückgekommen.»
    «Das tut mir Leid», sagte Caine. Nava nickte und nahm schweigend seine Beileidsbekundung entgegen. Sie war überrascht, wie sehr es selbst nach all diesen Jahren schmerzte, darüber zu sprechen. In gewisser Weise tat es jedoch gut, es sich von der Seele zu reden, selbst einem Fremden gegenüber. Es war ihre erste zwischenmenschliche Begegnung seit Jahren, die nicht auf Lügen basierte.
    «Der erste Monat war wie ein böser Traum. Jeden Tag hoffte ich von neuem, dass meine Mutter in der Küche war, wenn ich nach Hause kam, aber   …», sie hielt inne,weil ihr die Stimme versagte, «es war jeden Tag das Gleiche. Sie war fort   … und ich war immer noch allein.»
    «Aber Ihr Vater   …»
    «In gewisser Weise starb auch mein Vater an jenem Tag», sagte sie bitter. «Nach dem Unglück war er nicht mehr derselbe. Es war, als würde man mit einem Geist zusammenleben.»
    Nava erinnerte sich an dieses erste Jahr, als sie noch Tanja hieß und allein mit ihrem Vater zusammenlebte. Er verzieh sich nie, dass er seine Frau und Tochter hatte weggehen lassen. Aber statt sich selbst gab er Tanja die Schuld. Und so hatte

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