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Nullpunkt

Nullpunkt

Titel: Nullpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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kleinen, krakeligen Schrift vollgekritzelt.
    Logan lächelte vor sich hin. «Karen, Liebste», murmelte er, «ich wünschte, du könntest das hier sehen.» Doch Karen antwortete nicht.

27
    Die Gänge des Südflügels waren schwach beleuchtet, und lange Schatten zogen sich über die nackten Metallwände. Es war sechs Uhr abends, und die gesamte Basis lag in absoluter Stille. Ken Toussaint wanderte den Hauptkorridor der Ebene A entlang, die tragbare Digitalkamera in der einen und Contis hastig hingekritzelte Wegbeschreibung in der anderen Hand. Er hatte bisher keinen der Soldaten zu Gesicht bekommen – Conti hatte versprochen, sie während der Essenszeit zu beschäftigen. Dennoch wanderte er unwillkürlich auf Zehenspitzen durch die Gänge. Diese absolute Stille machte ihn nervös.
    Das waren die merkwürdigsten und unangenehmsten Dreharbeiten, an denen er je teilgenommen hatte. Er war schon zu einer ganzen Reihe abgelegener Orte auf der Welt geschickt worden. Er war in Kambodscha bei lebendigem Leib von Moskitos zerbissen worden, er hatte im Tschad Sand aus jeder denkbaren Körperöffnung gepult, er hatte in Paraguay Skorpione von seiner Ausrüstung geschnippt. Doch das hier setzte allem bei weitem die Krone auf. Gestrandet am obersten Ende der Welt, Hunderte von Kilometern von allem entfernt, das an zu Hause erinnerte, bedroht von Eisstürmen und Polarbären, eingesperrt in eine altmodische, stinkende Militärbasis. Nicht nur das, sondern jetzt schien es auch noch so, als wären all die erlittenen Unbequemlichkeiten umsonst gewesen. Doch das war nicht das Schlimmste von allem. Was zunächst nur ärgerlich gewesen war, war plötzlich tödlich geworden.
    Er erreichte eine Gabelung und hielt an, um die Skizze zu konsultieren, dann wandte er sich nach rechts.
    Was machte er überhaupt hier? Warum schlich er in den Gängen herum? Als Conti ihm den Auftrag erteilt hatte, war er noch benommen gewesen von Peters’ Tod, hatte noch versucht,das Geschehene zu verarbeiten. Die Bedeutung dessen, was Conti von ihm wollte, war ihm nicht so recht klar gewesen. Doch jetzt, während er durch diesen stillen Korridor schlich, wurde sie ihm dafür umso klarer. Mächtig klar. Jetzt, da es zu spät war für einen Protest.
    Toussaint war erst einmal in diesem Abschnitt der Basis gewesen, nämlich gestern, als er halbherzig nach dem verschwundenen Kadaver gesucht hatte. Hier schien es eine Menge technischer Apparaturen und Instrumente zu geben, zumindest nach den verblichenen, mit Schablonen auf die Türen gemalten Beschriftungen zu urteilen, die er passierte. Einem Impuls gehorchend, blieb er vor einer Tür stehen, die mit
Transducer Array – Backup I
beschriftet war. Er streckte die Hand nach dem Türknauf aus. Drehte daran. Abgeschlossen. Also setzte er seinen Weg fort.
    Was Conti von ihm verlangte, erschien ihm wie der reinste Kannibalismus: das unnötige, sensationslüsterne Filmen eines Mitglieds der eigenen Crew, das tot war und demzufolge keine Einwände erheben konnte. Es war ein dreistes Eindringen in die Privatsphäre eines anderen Menschen. Was würde Joshs Familie dazu sagen?
    Auf der anderen Seite, rief er sich ins Gedächtnis, als er sich wieder in Bewegung setzte, war der Sender nicht dumm. Terra Prime würde dafür sorgen, dass nichts Geschmackloses, Blutrünstiges ausgestrahlt wurde. Außerdem wusste Conti, was er tat. Er war ein brillanter Regisseur und Filmemacher, und er war zugleich Realist. Wenn es eine Möglichkeit gab, diesem Desaster eine glückliche Wendung zu geben und etwas Bemerkenswertes daraus zu erschaffen, dann würde Conti sie finden. Er hatte schließlich einen Ruf zu verteidigen. Genau wie Toussaint auch.
    Es leuchteten hier immer weniger Neonröhren, und die Kreuzung voraus lag in durchbrochenem Schatten. Und noch etwas gab es zu bedenken: Das hier war eine wirklich einzigartige Aufgabe. Niemand wusste davon außer Conti und ihm selbst. Es konnte zu einem Meisterwerk werden, zu etwas, das er seinem Portfolio hinzufügen konnte. Während der gesamten Produktionsphase hatte er immer nur die zweite Kamera geführt und die Nebenschauplätze abgearbeitet. Er hatte stets in Fortnums Schatten gestanden. Das hier war seine Chance, daran etwas zu ändern. Er würde seine Aufnahme mit einem Audio-Kommentar versehen, so viel stand fest. Wenn er dem Sender gefiel, half ihm das noch weiter aus dem Schatten ins Licht.
    Als er die Kreuzung erreichte, nahm er den Objektivdeckel von der Kamera, schaltete sie ein,

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