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Nullpunkt

Nullpunkt

Titel: Nullpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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Kanälen seines Gehörs und seiner Nebenhöhlen. Irgendetwas in der Nähe, etwas, von dem Toussaint instinktiv spürte, dass es gefährlich war, hatte ihn von einer Sekunde zur anderen in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Er riss den Kopf vom Sucher und starrte mit dem Millionen Jahre alten Instinkt eines Beutetiers zum dunklen Ausgang am anderen Ende des Wartezimmers.
    Irgendetwas lauerte dort draußen. Etwas
Hungriges
.
    Sein Atem ging noch schneller: hechelnde Züge, die dennoch nicht ausreichten, um seine Lungen zu füllen. Die Kamera filmte munter weiter, doch er hatte sie vergessen. Sein Verstand arbeitete fieberhaft, als er sich einzureden versuchte, dass das alles verrückt war, nur ein Nervenflattern, vollkommen verständlich angesichts der Umstände …
    Warum zum Teufel hatte er plötzlich eine solche Angst? Er hatte nichts gesehen, nichts gehört – nicht bewusst jedenfalls. Und doch war etwas an dieser perfekten Schwärze des Ausgangs, das all seine Instinkte in Alarm versetzte.
    Er wich zurück, schwenkte die surrende Kamera wild umher, sodass der Scheinwerferkegel über Wände und Decke huschte. Er stieß gegen den Untersuchungstisch mit der inzwischen steif gewordenen Leiche, und Übelkeit drohte ihn zu überwältigen.
    Mach einfach, dass du hier rauskommst
, sagte er sich.
Du hast die Aufnahme im Kasten. Mach, dass du hier rauskommst. Verschwinde hier.
    Er wirbelte herum, machte Anstalten zu fliehen.
    Und doch schaffte er es nicht, zu rennen. Irgendetwas in seinem Innern wusste, dass er, wenn er jetzt nicht hinsah, niemalswieder den Mut haben würde hinzusehen. Und irgendetwas noch viel tiefer in seinem Innern sagte ihm, dass Weglaufen nicht den geringsten Unterschied machen würde.
    Er hob die Kamera, drückte das Okular ans Auge und drehte sich hörbar atmend um, während er – ganz langsam – den Lichtkegel des Kamerascheinwerfers auf die Dunkelheit jenseits des Ausgangs richtete.
    Mitten auf das Antlitz des Albtraums.

28
    «Ich habe Ihre Nachricht erhalten», sagte Marshall, als er Faradays Labor betrat und die Tür hinter sich schloss. «Haben Sie etwas gefunden?»
    Faraday blickte auf. Er sah Marshall an, dann Ang Chen, dann wieder Marshall. Die Augen des Biologen wirkten weit und nervös hinter dem runden Schildpatt-Brillengestell. Doch das war es nicht, was Marshall irritierte. Faraday wirkte selbst an einem ruhigen Tag nervös.
    «Es ist mehr eine interessante Abfolge von Fakten», sagte Faraday. Er stand hinter einem verwirrenden Wald aus Reagenzgläsern und Laborgeräten – fast schien es, als versteckte er sich dahinter.
    «Kein Problem.»
    «Ich kann nichts davon beweisen. Nicht hier vor Ort jedenfalls.»
    Marshall verschränkte die Arme vor der Brust. «Ich verrate dem Dekanat der Universität nichts, wenn Sie nichts verraten.»
    «Und ich muss Sie warnen. Sully wird an die Decke gehen …»
    Marshall seufzte ärgerlich. «Schießen Sie einfach los, okay?»
    Ein letztes Zögern. «Okay.» Faraday räusperte sich und straffte seine fleckige Krawatte, die er unter dem Laborkittel zu tragen pflegte. «Ich denke, ich habe das Rätsel gelöst. Was die Eisschmelze in diesem Tresor angeht, meine ich.»
    Marshall wartete.
    «Ich hatte Ihnen schon gesagt, dass wir noch einmal oben in der Höhle waren, um weitere Proben von diesem Eis zu holen. Nun, wir haben sie einer Röntgenstrukturanalyse unterzogen. Es ist ein sehr ungewöhnliches Eis.»
    «Inwiefern?»
    «Die Kristallstruktur ist völlig falsch. Für normalerweise vorkommende Gefrierprozesse, meine ich.»
    Marshall lehnte sich gegen einen Tisch. «Fahren Sie fort.»
    «Sie wissen, dass es viele verschiedene Formen von Eis gibt, nicht wahr? Ich meine, abgesehen von der Sorte Eis, die wir in unsere Limonade tun oder von den Scheiben unserer Autos kratzen?» Er begann, die verschiedenen Formen von den Fingern abzuzählen. «Da wären Eis-II, Eis-III, IV, V, VI, VII und so weiter, bis hin zu Eis-XIV. Jede Form hat ihre eigene Kristallstruktur und eigene physikalische Eigenschaften.»
    «Ich erinnere mich, irgendetwas darüber in den Physikvorlesungen gehört zu haben. Man benötigt großen Druck oder extreme Temperaturen, damit die Festkörper-Transformationen stattfinden können.»
    «Das ist richtig. Aber das wirklich Ungewöhnliche an einigen dieser Formen von Eis ist, dass sie – wenn sie sich ersteinmal gebildet haben – bis weit über den Gefrierpunkt fest bleiben können.» Er reichte Marshall über den Wald von

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