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Nullpunkt

Nullpunkt

Titel: Nullpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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aktivierte den Hilfsscheinwerfer, justierte die Brennweite, überprüfte Weißbalance und Belichtung und stöpselte das Mikrophon ein. Er würde diese Aufnahme in einer einzigen langen Einstellung drehen: hinein in das Krankenrevier, weiter zum Untersuchungsraum, einmal um den Leichnam herum, hereinzoomen zu ein paar Nahaufnahmen, vielleicht kurz die Laken wegziehen, in die Peters eingewickelt worden war, wie Conti gesagt hatte. Das war alles. Neunzig Sekunden, bis er drin und wieder draußen war, das Material sicher auf der eingebauten Harddisk der Kamera. Wie Conti gesagt hatte: rein, filmen, raus, fertig.
    Toussaint bog um die Ecke. Dort war es. Die zweite Tür auf der linken Seite. Er schob die Skizze in seine Tasche, hob den Sucher ans Auge und richtete die Kamera aus. Der Lichtkegel des Scheinwerfers tanzte im Takt zu seinen Schritten über die Wände des Korridors. Er zielte auf die Tür der Krankenstation. Sie war geschlossen.
    Ein unangenehmer Gedanke durchzuckte ihn. Was, wenn die Tür abgesperrt war? Conti war nicht in der Stimmung, ein Nein als Antwort zu akzeptieren.
    Hastig näherte er sich der Tür und filmte im Gehen weiter. Ein schnelles Drehen am Türknauf beruhigte seine angespannten Nerven wieder: Sie war nicht abgeschlossen. Er tastete nach dem Lichtschalter und drehte das Licht an.
    Er nahm das Auge vom Sucher und blickte den Gang hinauf und hinunter mit den plötzlichen, schuldbewussten Bewegungen von jemandem, der nichts Gutes im Schilde führt. Doch da war niemand. Nichts. Nichts außer den feinen Haaren in seinem Nacken, die nervös zu Berge standen, und einem leisen, hohen Summen in den Ohren, das ihm verriet, dass er vielleicht zu lange gewartet hatte, seine Medikamente gegen den Bluthochdruck zu nehmen.
    Es wurde Zeit, dass er die Sache hinter sich brachte. Er räusperte sich leise, drückte das Auge gegen das Okular, betätigte den Aufnahmeknopf und stieß die Tür weit auf. «Ich gehe jetzt rein», murmelte er leise in das Mikrophon.
    Er bewegte sich rasch durch das Krankenrevier und achtete darauf, die Kamera gerade zu halten, während er den beengten Raum filmte. Sein Herz schlug schneller, als ihm lieb war, und seine Bewegungen waren abgehackt und abrupt. Er verfluchte sich dafür, dass er nicht die Steadycam genommen hatte, doch dann überlegte er, dass ein amateurhafter Ansatz vielleicht genau das Richtige für diesen Exkurs war. Sie konnten im Labor ein paar digitale Filter einsetzen und die Bilder noch körniger machen, bis sie aussahen wie mit einer billigen Kamera improvisiert …
    Der Durchgang zum nächsten Zimmer tauchte im Sucher auf. Dort lag der Leichnam von Peters, hatte Conti gesagt.
    «Der Tote liegt im Nachbarraum», murmelte er in das Mikro. «Hinter dem Wartezimmer.»
    Er spürte, wie sein Atem schneller ging und sich seinem Herzschlag anpasste.
Neunzig Sekunden, das ist alles. Rein und wieder raus.
    Er setzte sich in Bewegung, schwenkte die Kamera im Gehen nach rechts und links, während er darauf achtete, nicht über irgendwelche im Weg stehenden Hindernisse zu stolpern. Der Durchgang zum Untersuchungszimmer war ein schwarzes Loch, perforiert vom kleinen gelben Lichtkegel seines Kamerascheinwerfers. Erneut tastete er an der Wand entlang und fand den Lichtschalter.
    Augenblicklich wurde es massiv weiß im Okular. Dummer Anfängerfehler – er hätte das Licht vor dem Betreten des Raums einschalten und der Kamera ein paar Sekunden Zeit geben müssen, um die Belichtung nachzuregeln. Als das gesättigte Weiß schwächer wurde und die Konturen des Raums erschienen, sah er den Untersuchungstisch in der Mitte. Der Leichnam lag fest eingewickelt in Plastikfolie auf seiner blutverschmierten Unterlage.
    Noch schneller atmend als zuvor, schwenkte er einmal durch den Raum, dann bewegte er sich langsam um den Tisch herum und führte die Kamera an der in Plastik gehüllten Leiche entlang. Das war gut. Contis Instinkte waren richtig gewesen. Sie würden den Inhalt bearbeiten und ein paar Sprungschnitte einfügen. Sollte die Phantasie des Zuschauers die Lücken füllen! Er lachte zwischen gehetzten Atemzügen und vergaß in seiner Aufregung, den Audiokommentar fortzusetzen.
Warte nur, bis Fortnum das hier zu sehen kriegt …
    In diesem Moment hörte er es. Obwohl «hören» nicht ganz der richtige Ausdruck war – es war vielmehr eine unerwarteteÄnderung des Luftdrucks, ein schmerzliches Gefühl von Völle, das er im Brustkorb spürte und deutlicher noch in den tiefsten

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