Nullpunkt
in Bewegung, sie ändert sich ständig. Die Dokumentation muss sich anpassen, muss sich ebenfalls ändern.» Conti packte den Kameramann am Revers. «Unsere Existenzgrundlage und unsere Reputation stehen hier auf dem Spiel. Wir haben ein elend schlechtes Blatt in der Hand. Diese Katze war Herz und Seele unserer Produktion – und jetzt ist sie verschwunden. Dafür geschieht etwas Neues. Was heute Morgen als ein Rätsel angefangen hat, wurde zu einem Kriminalfall. Sehen Sie das? Wenn wir es richtig anfangen, könnte die Dokumentation noch viel größer werden als
Das Erwecken des Tigers
. Wir werden viel mehr Zuschauer anziehen. Weil wir ihnen etwas geben können, das sie noch nie zuvor bekommen haben: eine Dokumentation, die sich plötzlich in etwas ganz anderes verwandelt. Ein Drama, ein Krimi, der sich in Echtzeit vor den Augen der Zuschauer abspielt!»
Toussaint blinzelte wortlos.
«Aber man kann keinen Krimi drehen ohne wenigstens eine Einstellung von der Leiche. An diesem Punkt kommen Sie ins Spiel. Ich möchte, dass Sie bis zum Abendessen warten.Bis dahin werden sich die Dinge ein wenig beruhigt haben. Ich kümmere mich darum, dass die Soldaten abgelenkt sind – niemand wird Sie belästigen. Es geht ganz schnell. Betrachten Sie es als eine Art Aufklärungsmission: Gehen Sie rein, filmen Sie die Einstellung, verschwinden Sie wieder. Machen Sie sich keine Sorgen um die Belichtung oder den Hintergrund oder sonst irgendwas. Die Einstellung selbst ist wichtig. Machen sie eine einzige lange Aufnahme, den Rest bearbeite ich daheim in New York auf der DataCine. Okay?»
Toussaint nickte langsam.
«Guter Mann. Und hören Sie – denken Sie daran, zu niemandem ein Wort. Nicht mal zu Fortnum. Es bleibt unser Geheimnis – bis zum letzten Schnitt und dem Applaus der Senderbosse. Verstanden?»
«Verstanden», sagte Toussaint mit beinahe unhörbar leiser Stimme.
Conti nickte. Es war eine schnelle Bewegung, die an einen pickenden Vogel erinnerte. «Und jetzt gehen Sie und bereiten Ihre Ausrüstung vor. Ich skizziere in der Zwischenzeit den Weg.»
26
Die Räume waren klein und einfach wie Mönchszellen. Lediglich die Skelettrahmen von Pritschen und ein paar vereinzelten Metallspinde waren geblieben. Und doch wusste Logan, als er sich umsah, dass hier das Quartier der Wissenschaftler gewesen sein musste.
Es zu finden hatte sich als eine Herausforderung erwiesen:Die C-Ebene war mit so viel Plunder vollgestellt, dass es schwerfiel, alte Einrichtungsgegenstände von eingelagerten Möbeln zu unterscheiden. Doch hier in diesen Räumen standen genau acht Pritschen so angeordnet, dass es nach einem wohnlichen Arrangement aussah und nicht nach einem weiteren Lager. Vier Pritschen befanden sich im zentralen Raum, jeweils zwei übereinander, eine einzelne weitere Pritsche in einem großzügigen Raum an der Seite – zweifellos das Quartier des leitenden Wissenschaftlers. Zwei weitere Betten in einem Raum auf der anderen Seite. Und ein letztes in einer Kammer neben dem Badezimmer, kaum größer als ein Gäste-WC.
Logan schaltete jede verfügbare Lampe ein. Dann schlenderte er langsam, mit auf dem Rücken verschränkten Händen, durch die Räume, blickte sich um, spähte in die leeren Schränke und versuchte die Geister der lange Verstorbenen dazu zu bewegen, ihm ihre Geheimnisse zuzuflüstern. Er hatte gehofft, etwas zu finden: Werkzeuge oder Ausrüstung vielleicht, oder Ausdrucke, oder Fotos. Doch es war offensichtlich, dass das Quartier vor vielen Jahrzehnten gründlich durchsucht, jeder Gegenstand von Interesse geräumt und – falls man sich an die Standardprozedur der damaligen Zeit bei derart geheimen Operationen gehalten hatte – verbrannt worden war.
In einem Spind hingen verloren zwei Kleiderbügel, auf dem Boden lag ein Knopf mit einem Rest von Faden daran. Eine zerdrückte, vertrocknete Tube Zahnpasta stand auf dem Metallregal über dem Waschbecken im Badezimmer. Wie es schien, gab es nichts mehr, das ihm das Quartier verraten konnte.
Logan kehrte in den zentralen Raum zurück. Er hatte selbst früher einmal in einem so beengten Zimmer gewohnt, vor vielenJahren, bei einer archäologischen Grabung in der Nähe von Massada. Die israelische Armee hatte der Gruppe von Wissenschaftlern und Historikern für die Dauer ihrer Arbeit vor Ort ein abgelegenes Barackenlager zur Verfügung gestellt. Logan schüttelte den Kopf, als er an die unfruchtbare Landschaft und die Einsamkeit dachte. Es hatte sich angefühlt, als wären
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