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Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Zeh
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denken aufhört, und ihm sagen: Du bist ein guter Mensch.
    Ich versuche mir vorzustellen, wie Sven den alten Mann tötet. Er packt ihn an der Kehle und drückt ihn unter Wasser. Ich trage eine Taucherbrille, sitze am Grund und sehe zu. Die Todesangst auf Theos Gesicht. Das plötzliche Verstehen, dass er zu weit gegangen ist. Ertrinken ist ein hässlicher Tod. Dazu Musik von Carter Burwell wie in einem Coen-Film. Ich drücke die Stopptaste.
    Alles könnte so schön sein. Wir sind auf einer Insel, wir haben Geld, wir sind gesund. Aber es ist hässlich. Je mehr Hässliches ich denke und tue, desto hässlicher wird mein Leben. Wie eine herrliche Wohnung, die mit den geschmacklosesten Dingen eingerichtet ist. Es tut weh, das jeden Tag sehen zu müssen. Man hält es darin nicht aus. Das geöffnete Fenster hilft nicht mehr. Ich muss hier raus.

7
    A m nächsten Morgen hatte sich das Unwetter endgültig verzogen. Blauer Himmel, strahlende Sonne, ein freundlicher kleiner Wind. Jola saß auf der Treppe der Casa Raya, in abgeschnittenen Jeans und einem Oberteil, das ihre Brüste mit einem schmalen Nackenband hielt. Etwas fehlte in diesem Bild. Jola war allein. Kein Theo. Ich wusste sofort, dass er nicht nur kurz reingegangen war, um eine vergessene Kleinigkeit zu holen. Er hatte die Casa noch gar nicht verlassen. Ich sah Jola an, dass Theo an diesem Morgen nicht mit uns tauchen würde. Sie schaute mir entgegen, als sähe sie mich zum ersten Mal.
    Ich stand vor ihr und überlegte, auf welche Weise wir uns an den vergangenen Tagen begrüßt hatten. Die Hand gegeben? Einander an der Schulter berührt? Flüchtig gewinkt und »Hallo« gesagt? Oder waren wir schon so gut befreundet, dass wir uns umarmen mussten? Ich mochte diese ständigen Wangenküsse unter Beinahe-Fremden nicht. Als es an der Uni Mode wurde, sich zur Begrüßung um den Hals zu fallen, beschloss ich, nicht mehr auf Partys zu gehen. Eines stand fest: Ich konnte Jola unmöglich umarmen. Nicht, solange sie dieses Oberteil trug. Mir fiel ein, dass ich an den vergangenen Tagen den Wagen vors Haus gefahren hatte und einfach hinter dem Steuer sitzen geblieben war, während Jola und Theo ihre Taschen auf die Rückbank warfen und neben mir auf die Beifahrersitze kletterten. Warum ich an diesem Morgen ausgestiegen war, blieb mir unerklärlich.
    »Stimmt was nicht?«, fragte Jola.
    »Wo ist Theo?«
    Ihre Miene verdüsterte sich.
    » Ich zahle dein Honorar.«
    »Hat er heute keine Lust?«
    »Der alte Mann ist dein treuester Fan. Aber er liegt mit Schnupfen im Bett.«
    »Antje wird ihm etwas bringen, damit er morgen wieder fit ist.«
    »Aber du bist bereit und in der Lage, auch ohne Theo mit mir tauchen zu gehen?«
    Ich salutierte: »Yes, M’am.«
    Im Auto setzte sie sich ans Fenster, so dass zwischen uns ein leerer Sitzplatz lag. Wenn ich den Kopf drehte, lächelte sie seltsam, wobei sie die Lücke zwischen ihren Schneidezähnen entblößte. Auf mich wirkte das, als würde sie die Beine spreizen. Wir sprachen nicht. Ich zwang mich, den Blick auf die Straße gerichtet zu halten.
    Alles ist Wille.
    An Land war Schweigen etwas anderes als unter Wasser. Kein Normalzustand, sondern der stumme Soundtrack des Scheiterns. Nach einer Viertelstunde hielt ich es nicht mehr aus.
    »Wie kommst du mit der Theorie voran?«
    »Scheiß auf die Theorie.«
    Sie betonte den Begriff, als hätte »Theorie« etwas mit »Theo« zu tun. Dann schwiegen wir wieder.
    Endlich holperte der Wagen über die Schlaglochpiste, die zum Tauchplatz bei Mala führte. Ich hielt es für wichtig, die Stelle noch einmal zu betauchen, an der Jola anderntags ihre Panikattacke erlitten hatte. So wie Reiter nach einem Sturz gleich wieder aufs Pferd steigen. Abgesprochen war das nicht. Sie hatte nicht gefragt, wohin wir fuhren, und mir fehlte an diesem Morgen zu allem, was ich sagen wollte, ausgerechnet der erste Satz.
    Jola stieg aus, streckte den Rücken und sah aufs Meer, das sich glatt wie Folie bis zum Horizont dehnte. Ich öffnete die Heckklappe des Busses und spürte Dankbarkeit beim Anblick der Ausrüstung. Flaschen ausladen, Tarierjackets vorbereiten, Bleigurte aussuchen. Jola half mir, die Plane auszubreiten, auf der wir uns umkleiden würden. Als sie die Arme kreuzte, um ihr Oberteil über den Kopf zu ziehen, wandte ich mich dem Wagen zu, um unter dem Beifahrersitz nach meiner Maske zu suchen.
    »Wo kann man hier pinkeln«, sagte sie. Es war keine Frage, sondern eine Warnung. Im Umkreis von fünf Kilometern gab

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