Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Zeh
Vom Netzwerk:
es keinen Busch oder Baum. Es gab die Schotterpiste, auf der unser Wagen parkte. Jenseits davon nur Geröll und schwarzer Sand.
    Jola umrundete den Transporter und hockte sich neben das linke Vorderrad. Ich stand weiter über den Beifahrersitz gebeugt und gab vor, mit meiner Suche beschäftigt zu sein, aus Angst, sie durch die halb offen stehende Fahrertür sehen zu können, wenn ich mich aufrichtete. Ein Strahl traf den harten Boden. Ich konnte förmlich fühlen, wie es ihr auf die Füße spritzte. Je länger es andauerte, desto unmöglicher wurde die Situation. Immer ausführlicher und schamloser schien das Plätschern von Jolas Innereien zu erzählen. Es wollte nicht aufhören. Ich starrte auf den Staub unter meinen Füßen.
    Langsam ging das Zischen in ein Rieseln über, als am Boden unter der Beifahrertür ein schmales Rinnsal erschien. Es machte keine Anstalten zu versickern. Stattdessen führte es an den Rändern Staub mit, so dass sich der kleine Bach mehr wälzte als floss. Er näherte sich meinen Zehen. Ich zog den Fuß nicht weg. Plötzlich stand Jola neben mir. Sie schaute mich nicht an, sondern blickte zu Boden. Auf den feuchten Abdruck meines linken Fußes.
    »Dann wollen wir mal«, sagte ich. Mein launiger Tonfall war eine Rebellion gegen ihr spöttisches Lächeln.
    Auf dem schwierigen Weg über die Klippen geriet sie ins Straucheln. Instinktiv reichte ich ihr die Hand, die sie umfasste und nicht mehr losließ. Ich sagte mir, dass es mit schwerem Equipment auf gefährlichem Untergrund meine Pflicht war, sie zu stützen. Ihr Griff war nicht kokett, sondern fest und warm, fast wie der eines Mannes. Es fühlte sich völlig selbstverständlich an, mit ihr Hand in Hand zu gehen.
    Am Einstieg zeigte ich ihr noch einmal, wie sie Maske und Lungenautomaten zu sichern hatte. Ich blies ihr Tarierjacket auf und kontrollierte sämtliche Schnallen an ihrer Ausrüstung. Als ihre Finger beim Sicherheitscheck über meinen Anzug wanderten, schloss ich die Augen. Dann drehte ich mich um und sprang.
    Stille. Jola lag viel ruhiger im Wasser als an den Tagen zuvor. Als ob Theos Abwesenheit sie entspannte. Sie sank langsam, eine Hand an der Nase für den Druckausgleich, während ihr Haar wie ein lebendiges Wesen um sie herum trieb. Sie breitete Arme und Beine aus und schwebte auf der Stelle, sanft gehoben und gesenkt von den eigenen Atemzügen. Sie drehte sich auf den Rücken und sah den Luftblasen nach, die von ihrem Mund wie glitzernde Quallen der Sonne entgegenstiegen. Ich kniete auf dem Grund und konnte nicht aufhören, sie anzusehen. Wir waren gemeinsam hier. Zwei Zeitlupenwesen in einer Zeitlupenwelt. In vierzehn Jahren und mit Hunderten von Kunden hatte sich noch nie ein solches Gefühl der Zusammengehörigkeit eingestellt. Jola kam herüber und landete auf den Knien, mir direkt gegenüber. So verharrten wir eine Weile, als würden wir einander anbeten. Eine kleine Sepia kam herangeschwommen und sah uns fragend an. Sie tauschte ihr Flecktarn gegen das gestreifte Balzmuster, um herauszufinden, ob wir Männchen oder Weibchen waren. Schließlich hob Jola Daumen und Zeigefinger zu einem »ok?«. Ich erwiderte das Signal, »ja, ok«.
    Ich weiß nicht mehr, wer von uns zuerst die Hände ausstreckte. Ich weiß noch, dass ich sie an den Schultern packte und in meine Arme zog, und dass sie die Umarmung sofort erwiderte. Wir konnten uns nicht küssen, weil wir die Atemgeräte in den Mündern behalten mussten. Wir konnten uns nicht streicheln, weil ein halber Zentimeter Neopren die Haut bedeckte und überall Ausrüstungsgegenstände den Weg versperrten. Mir blieben ihre Hände und ihr Hinterkopf. Ich schob eine Hand in den Armausschnitt ihres Tarierjackets, um wenigstens die flachgedrückte Form ihrer Brust unter dem Neopren zu ertasten. Ich drehte Jola um und beugte sie nach vorn, um mich an ihrem gummierten Hintern zu reiben. Überlegte, ob ich es wagen könnte, sie auszuziehen. Sie mit einer Hand am Bleigurt zu fassen, ihr mit der anderen vorsichtig das Tarierjacket abzunehmen. Die Flasche auf den Grund zu legen. Sie hätte sich mit beiden Armen daran festhalten können, um nicht abgetrieben zu werden. Wahrscheinlich wäre es mir gelungen, sie halb aus dem Anzug zu schälen. Allein die Vorstellung, den Reißverschluss aufzuziehen und ihre Brüste herauszuheben, während sie bäuchlings am Meeresgrund lag, hilflos wie ein Neugeborenes, durch einen Schlauch an die Luftversorgung gekettet, brachte mich um den

Weitere Kostenlose Bücher