Nullzeit
sie nackt. Mit beiden Händen stützte sie sich gegen den Bus und kehrte mir den Hintern zu. Ich fasste sie bei den Hüften. Ihre Brüste schwangen frei, das nasse Haar klebte ihr am Rücken.
Es ging. Es wäre gegangen. Aber etwas stimmte nicht. Es war die Art, wie sich Jola nach mir umdrehte. Ihr fragender Blick. Geil und aufreizend. Worauf wartest du. Sie sah dabei wie eine Schauspielerin aus. Ich rieb meinen Schwanz zwischen ihren Schenkeln. Sie war nicht besonders feucht und warf trotzdem sofort den Kopf in den Nacken. Sie stöhnte im Takt meiner Bewegungen. Als spielten wir die Hauptrollen in einem Urlaubsporno. Ich hätte in sie eindringen und mich heftig an ihr abarbeiten können, und wir wären nach einer Minute fertig gewesen. Doch wozu?
Vielleicht lag es daran, dass wir über Wasser Menschen waren. In meinem Inneren herrschte Totenstille. Die heftigen Gefühle von eben waren verstummt. Ich sah uns wie von außen. Den VW-Bus, die am Boden verstreute Ausrüstung. Eine Touristin und ihr Tauchlehrer, der im Begriff stand, seine Prinzipien zu vergessen. Sex stellte eine starke Form der Einmischung dar. Dem Irrtum, sich nach einer schnellen Nummer aus allem heraushalten zu können, waren genug Männer vor mir erlegen.
Ich zog mich zurück, tätschelte Jolas Arsch und murmelte eine Entschuldigung. Dann schlüpfte ich in meine Jeans und machte mich daran, das Equipment zu verladen. Offensichtlich stand der Tauchplatz bei Mala derzeit unter keinem guten Stern. Als ich mich hinters Steuer setzte, lehnte Jola bereits im Beifahrersitz. Sie wirkte nicht wütend. Eher ein wenig abwesend. Sie schaute vor sich hin, als wäre ihr gerade ein wichtiger Einfall gekommen. Kurz legte ich ihr eine Hand aufs Knie. Dann brauchte ich die Hand, um den Gang einzulegen.
Ein Mann gewöhnt sich im Lauf seines Lebens daran, dass Frauen bis auf wenige Ausnahmen nicht mit ihm schlafen wollen. Eine Frau hingegen kann davon ausgehen, dass theoretisch jeder Mann mit ihr schlafen will. Heute frage ich mich, was es für eine Frau wie Jola bedeutet haben muss, zurückgewiesen zu werden. Kann es wirklich sein, dass das Schicksal in diesem Augenblick von mir verlangt hätte, die Sache zu Ende zu bringen? Fragen, auf die es keine Antwort gibt, eignen sich bestens dazu, immer wieder gestellt zu werden.
Jolas Tagebuch, vierter Tag. (Seiten herausgerissen und wieder eingeklebt)
Dienstag, 15. November. Nachmittags.
Algen produzieren achtzig Prozent unseres Sauerstoffs. Sagt mein iPhone. Und dass sich ganze Gebirge vor ein paar Millionen Jahren aus dem Kalk von Wassertieren gebildet haben. Der Mensch macht Beton daraus. Errichtet Städte aus Schneckenhäusern und Muschelschalen. Dem alten Mann gefällt die Vorstellung. Vielleicht kann er sie in einer Geschichte verwenden.
Gute Laune funktioniert genau wie schlechte. Man muss sie an jemandem auslassen. Weil sonst niemand da ist, kommt der alte Mann in den Genuss. Er liegt auf der Couch und verbraucht Taschentücher. Ich habe ihm einen Tee gekocht, das Kissen aufgeschüttelt und sein Leiden als das tragischste im Universum anerkannt. Ich lese ihm Weisheiten aus dem Internet vor. So verwandelt sich das Glück mit dem Einen in Zärtlichkeit für den Anderen. Merke: Glück, nicht schlechtes Gewissen.
Am liebsten würde ich dem alten Mann etwas ganz anderes erzählen. Ausführlich berichten, wie Sven, der doch sonst im Auto die ganze Zeit redet – den bevorstehenden Tauchgang beschreibt, die spärlichen Sehenswürdigkeiten der Insel hervorhebt, Anekdoten aus seinem Unterwasserleben zum Besten gibt –, plötzlich kein Wort mehr herausbringt. Stattdessen alle zwanzig Sekunden den Kopf wendet, um mich anzusehen. Warum erzähle ich das Theo nicht? Weil er ausrasten, mir die Seele aus dem Leib prügeln, mich vielleicht umbringen würde. Versehentlich. Eine Geschichte vom Glück hat er gar nicht verdient. Die Klappe zu halten macht mindestens genauso viel Spaß. Also sitze ich auf dem Bett im Schlafzimmer und lache ab und zu in mich hinein.
Was ist so lustig, ruft der alte Mann von der Couch.
Wusstest du, dass Sepien beim Balzen die Farbe wechseln?, rufe ich zurück.
An Land fällt es mir schwer, Sven ernst zu nehmen. Dicke Arme und dieser treuherzige Blick. Gescheiterter Jurist, geflohen in den ewigen Kindergarten, garantiert mit hundert Prozent Sonne und null Prozent echtem Leben. Aber unter Wasser ist er ein anderer Mensch. Falsch: ein anderes Wesen. Die Treuherzigkeit wird zu Selbstbewusstsein,
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