Nummer Drei: Thriller (German Edition)
Vier.«
»Schmerzen?«
Dad dachte einen Moment lang nach. Dann tat er so, als hätte er Schmerzen im Bein, hielt es fest, stöhnte und schien anschließend eine Pille zu schlucken. Dann seufzte er erleichtert.
»Oh!«, sagte Ahmed. »Gut. Haben wir aber nicht.«
»Nein, schon gut«, sagte Dad. »Wir haben so etwas.«
»Ihr hab t ?«
»Ja, im Medizinschrank. Wenn wir das Mittel einfach herausnehmen dürfte n …«
Dad dachte wohl, Ahmed lasse uns zum Medizinschrank gehen und zusammensuchen, was wir brauchten. Vielleicht wollte er bei der Gelegenheit auch gleich über Funk um Hilfe rufen. Ich sah es ihm genau an, er wollte den Helden spielen. Aber Ahmed war kein Dummkopf. Er hob den Hörer des Funkgeräts ab und sprach einige Worte hinein. Jemand antwortete, dann legte er auf.
»Gut«, sagte er. »Zeig mir.«
Wir führten Ahmed durch den Flur und die Treppe hinunter zum hinteren Deck. An der Schranktür, die mit der Wand glatt abschloss, blieben wir stehen. Wenn man nicht genau wusste, wonach man suchte, war sie leicht zu übersehen. Das war der Medizinschrank. Mom als Amerikanerin hatte manchmal Aua-Schrank gesagt. Ich fand, das passte gut. Wir waren die Gefangenen von Leuten, die uns wehtun konnten.
Dad öffnete den Schrank und betrachtete das ordentlich einsortierte Erste-Hilfe-Material: Flaschen mit Pillen, Verbände, Pflaster, sogar Spritzen. Dad nahm eine Flasche heraus, las das Etikett und steckte sie sich in die Tasche, außerdem Jod, Nadel und Faden und einen Verband.
»Wofür?«, fragte Ahmed.
»Infektion«, erklärte Dad. »Zum Säubern. Ja?«
Ahmed nickte und schnitt eine seltsame Grimasse. War es Staunen? Trauer? Er hob eine Hand und berührte die Vorräte im Medizinschrank, als wären sie heilige Reliquien.
»Was ist los?«, fragte Dad.
»Sind Medizinsachen«, erwiderte Ahmed betont langsam, als sei Dad begriffsstutzig.
»Nein, ich meine, was wollen Sie? Geht es Ihnen nicht gu t ?«
Ahmed schloss den Schrank, runzelte die Stirn und konzentrierte sich.
»Meine Kinde r … wenn krank, kann nichts geben. Keine Medizin. Hier auf Jacht ist einfach.«
Mir drehte sich der Magen um. Hatte er tatsächlich Kinder? Dieser Mann mit der Narbe im Gesicht und dem AK - 47 ? Doch, natürlich hatte er Kinder. Er war sicher schon vierzig. Erst jetzt wurde mir wirklich bewusst, wie diese Jacht auf ihn wirken musste. Für einen Mann, der seinen Kindern keine Arznei geben konnte. Der keine Schuhe trug.
Dann verhärtete sich Ahmeds Miene wieder wie ein gebranntes Stück Ton aus dem Ofen.
»Sagst du Kapitän, wir fahren morgen«, befahl er.
»Fahren?«, fragte ich. Ich dachte an das Schiff auf dem Radarschirm, an den hellen Fleck, der sich stetig näherte. Hoffentlich die Marine, die uns retten würde.
»Fahren weg. Nach Eyl.«
»Wo liegt Ey l ?«, fragte Dad.
»Kleine Stadt in Puntland. Somalia.«
Mir sank das Herz. Ich hatte mich nach dem Land gesehnt, weil es mir Angst machte, auf dem weiten, offenen Meer zu treiben, und mir vorgestellt, wie schön es wäre, einen Strand zu sehen. Aber ich hatte mir einen sicheren Strand vorgestellt. Keine Gegend, in der wir ganz und gar ohnmächtig waren, sondern einen Ort, zu dem wi r … vielleicht fliehen konnten. Mir wurde klar, dass ich unbewusst auch an Robinson Crusoe gedacht und mir vorgestellt hatte, wir würden in der Nacht wegschwimmen und später unter Palmen sitzen und Kokosnüsse knacken.
Somalia war nicht sicher. Somalia war die Heimat der Piraten. Vielleicht konnten wir wegschwimmen, aber ganz bestimmt nicht weit genug.
Das Radar schien mir zu zeigen, dass ein Schiff kam und uns retten wollte, aber – das war die Ironie – wir zogen uns vor ihm zurück. Wir fuhren nach Somalia.
11 Wie ich schon sagte, brachte Dad die Stiefmutter nach einer Party im Büro mit nach Hause. Ich glaube, sie wollten es vor mir verheimlichen, aber ich hörte ihr unterdrücktes Kichern, nachdem das Taxi sie um drei Uhr morgens abgeliefert hatte. Das war, ich weiß auch nicht, ein paar Monate nach dem Ereignis. Viel zu früh, fand ich.
Am nächsten Morgen beobachtete ich vom Fenster aus, wie sie sich aus dem Haus stahl und über die Allmende zur Haltestelle des 65 ers lief. Sie trug purpurne Pumps, ein dunkelblaues Kleid und war hübsch. Ich weiß noch, wie genervt ich war, weil sie so hübsch war.
Nicht lange danach brachte Dad sie zum Dinner mit nach Hause, damit wir uns kennenlernten. Er hatte ihren Namen schon einige Male beiläufig erwähnt – irgendetwas, das
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