Nummer Drei: Thriller (German Edition)
den Versuchen der Piraten, sie an Bord zu treiben. Sie kreischten auf eine gespenstische, fast menschliche Weise und keilten aus. Als eine Ziege endlich auf der Tauchplattform stand, ging sie sofort durch und klapperte auf unsicheren Hufen durch die Tür ins Esszimmer. Ein Pirat musste hinterherlaufen. Ein paar Minuten später tauchte er, aus irgendeinem Grund aus der Nase blutend, wieder auf und stieß die klagende Ziege vor sich her. Es dauerte gut eine halbe Stunde, bis die Tiere endlich angebunden waren.
Wir blieben so weit auf Abstand wie nur möglich. Eine der Ziegen hatte bereits auf die Mahagonibretter geschissen. Ich konnte sie auch riechen: Es war dieser säuerliche, muffige Geruch von Grasfressern.
»Aus Ziegenfleisch kann ich ein gutes Currygericht kochen«, erklärte Felipe, der bis zu diesem Zeitpunkt nicht viel von sich gegeben hatte.
»Aus Ziegenfleisch ?«, fragte die Stiefmutter.
»Ja. Wenn man richtig darüber nachdenkt, ist es sogar sehr vernünftig«, erklärte Dad. »Sie müssen sich keine Gedanken machen, dass das Fleisch verdirbt, und die Ziegen geben Milch un d …«
»Ach, halt den Mund, James!«, sagte die Stiefmutter.
Später an diesem ersten Abend, als wir wieder drinnen waren, hatte niemand einen Plan, und niemand hatte eine Ahnung, was wir nun tun sollten. Wir fragten Farouz, ob wir schlafen gehen könnten, worauf er mit den Achseln zuckte und sich entfernte, als sei es ihm völlig gleichgültig, was wir taten. Selbst beim Achselzucken bewegte er sich geschmeidig – nicht gerade anmutig, denn mit einem Tänzer konnte man ihn nicht vergleichen. Eher so, als fühle er sich wohl in seiner Haut.
Das fiel mir auf, weil er sich darin sehr von den Jungs in der Schule unterschied, die sich noch nicht an ihre postpubertären Körper gewöhnt hatten. Die Leute nannten solche Typen gern schlaksig, aber viele waren überhaupt nicht schlaksig. Einige waren sogar ziemlich stämmig oder von normaler Statur. Sie bewegten sich allerdings, als seien sie mit ihren Körpern nicht sonderlich gut vertraut. Oder als wären ihre Körper für ein ganz anderes Bewusstsein geschaffen. Farouz dagegen bewegte sich, als sei sein Körper der Handschuh und sein Bewusstsein die Hand.
Tony hatte darauf bestanden, nach draußen zu gehen und die Ereignisse zu beobachten, auch wenn er sich dabei auf Dad und Damian stützen musste. Er schwebte nicht in Lebensgefahr, doch es ging ihm auch nicht gut. Inzwischen war er leichenblass. Als wir ins Kino zurückkehrten und er wieder auf dem Sofa lag, tippte ich Dad auf die Schulter.
»Wir sollten ein Schmerzmittel für ihn auftreiben«, schlug ich vor.
Dad nickte. Er sagte der Stiefmutter, sie solle mit Damian, Felipe und Tony warten, und dann suchten wir Ahmed.
Unterwegs kamen wir an unseren Kabinen vorbei. Zu meinem Erstaunen klebten kleine Zettel mit Geldbeträgen an den Türen. Anscheinend hatten die Piraten sie dort befestigt.
$ 500 stand an meiner Tür.
$ 1000 stand bei Dad und der Stiefmutter.
An der Tür der Brücke stand $ 5000 .
Ich wies Dad darauf hin, der die Finger beider Hände spreizte. Er begriff es auch nicht.
Ahmed stand auf der Brücke und beobachtete den Radarschirm. Anscheinend wussten er oder Farouz, wie man das Gerät bediente, denn Damian hatte es heimlich ausgeschaltet, als die Piraten an Bord gekommen waren. Ein hübscher großer piepsender Punkt hielt aus östlicher Richtung auf uns zu. Ich dachte, es sei die Marine, und freute mich darüber. Anscheinend kam die Kavallerie, um uns herauszuhauen. Im Rückblick finde ich diesen Gedanken ziemlich dumm. Wenn eine Jacht von Männern mit Gewehren übernommen wird, schickt man kein Kommando, um die Geiseln zu befreien. Die Gefahr von Kollateralschäden ist zu hoch. Das ist eine höfliche Umschreibung dafür, dass ich, Dad, die Stiefmutter, Damian, Tony und Felipe möglichst nicht von Kugeln durchsiebt werden sollten.
»Nummer Eins«, begrüßte uns Ahmed, als wir eintraten. »Nummer Drei. Was wollen?«
Ahmed war der einzige Pirat, der sich keine Kleidung von uns angeeignet hatte. Er hatte den anderen sogar befohlen, unsere Sachen zurückzugeben, was aber wohl eine Weile zu dauern schien. Vielmehr trug er einen somalischen Kapuzenmantel, anscheinend eine Dschellaba, die bis zu den Knien reichte. Er schien auch keine Schuhe zu besitzen, sondern ging überall barfuß. Trotzdem waren seine Füße erstaunlich sauber.
»Wir brauchen Schmerzmittel«, erklärte Dad. »Fü r … äh, Nummer
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