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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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das zerfetzte Schaf wurde alles rot. Ben konnte nichts anderes mehr sehen. Es war so, als wäre er in das Schaf eingetaucht, als wäre er inmitten des Tieres begraben. Er versuchte, die Augen zu finden, die ihn kurz zuvor noch angestarrt hatten, aber dann kamen sie. Er sah Schuhsohlen, die sich durch das Blut auf das Glas drückten, er sah Putzlappen, die sich auf das Glas pressten. Sie hoben den Kadaver hoch und trugen ihn weg. Mindestens zehn Chinesen wischten und putzten. Wie Maschinen schoben sie ihre Bürsten vor und zurück, leerten Wasser über das Glas und spülten alles fort. Langsam wurde alles wieder wie vorher, die Scheibe war blitzblank nach wenigen Minuten, sie knieten über ihm und polierten.
    Dann kam der Chinese und starrte nach unten.
    Ob er weiter machen wolle, fragten seine Augen.
    Ben rührte sich nicht, sein kleiner Finger blieb liegen, er hatte noch nicht genug, er hatte überlebt, das Gefühl war grauenvoll, aber er empfand etwas, das er vorher noch nie empfunden hatte, eine unmenschliche Anspannung und dann die Entspannung, wie sich alles löste in ihm, wie er sich leicht fühlte und schwebend. Sein Finger blieb liegen in seiner Hand, seine Augen sagten: Macht weiter, ich bin bereit. Tut es einfach.
    Er fragte sich, was jetzt kommen würde. Es sind immer andere Tiere, hatten sie gesagt, was gerade zur Verfügung steht.
    Er schloss die Augen, er spürte die Schritte auf dem Glas, sie spannten ein frisches Tier ein, er wollte sich überraschen lassen. Er ließ die Augen zu, bis die Schritte weg waren, es war eingespannt, sie würden es jetzt nach oben jagen, er machte sie auf. Es war größer. Viel größer. Als es in der Luft umdrehte und auf ihn zukam, sah er die Kuh. Eine braune, fette Kuh mit weißen Flecken. Sie war riesig, und sie raste durch die Luft auf ihn zu. Das würde das Glas nicht aushalten. Das konnte nicht sein. Er hob seinen kleinen Finger. Er zuckte, er bewegte alles, was er hatte, er stieß sich den Kopf an, als sie aufschlug.
    Ihr Schädel kam zuerst. Genau in sein Gesicht, so, als würde sie ihn küssen wollen. Der Schädel traf auf das Glas und breitete sich aus, er wurde von dem tonnenschweren Körper, der ihm folgte, zerdrückt, er wurde von dem Leib aufgesaugt, er verschwand in dem Berg aus Fleisch, der auf das Glas prallte. Die Hufe würden das Glas zum Springen bringen. Jetzt würde er sterben. Endgültig tot sein. Aber es blieb ganz.
    Langsam entspannte er sich wieder. Dieses Gefühl war göttlich. Es war, als würde er selbst zerrissen werden, als würde er sich auflösen.
    Die Kuh breitete sich langsam über die ganze Plattform aus. Sie werden das Fleisch verarbeiten, dachte er, als sie es dann wieder wegwischten. Wahrscheinlich wird es schon am Abend bei den Chinesen am Teller liegen. Sie werden es mit kleinen, schnellen Bewegungen in sich hineinstopfen. Wieder kam der Chinese und fragte, wieder blieb sein Finger liegen. Der Chinese grinste und winkte, so, als würde er sich verabschieden. Er beugte sich tief hinunter zu Ben und winkte. Sein Mund war ein großes, breites Grinsen, gelbe, kleine Zähne schauten ihn an. Dann verschwand er. Ben war nassgeschwitzt. Schlimmer und schöner konnte es nicht mehr werden, dachte er, da sah er den Fuß des Elefanten.
    Die Kuh war wie ein Witz gewesen gegen das, was jetzt auf die Plattform kam. Er war riesig, ein ausgewachsener, ledriger Elefant, ein Fleischberg, der die ganze Plattform einnahm, er verdeckte den Himmel. Es wurde dunkel. Ben bekam Angst. Große Angst.
    Plötzlich wollte er nicht mehr, er wollte hinaus, wollte aufstehen, er hatte genug. Er suchte den Chinesen, er war nicht da, da war nur dieser Elefant, die ledrige Haut, die gewaltigen Füße, der mächtige Leib. Er begann zu schreien. Er klopfte mit den Kniescheiben gegen das Glas, mit der Oberseite seiner Fäuste und mit seinem Kopf, er schrie. Er zappelte, er wollte nicht mehr, er schrie lauter, keiner hörte ihn, sie ignorierten ihn. Sie zogen das Gummituch unter dem Elefanten durch, sie verschwanden zur Seite hin, dann schossen sie ihn ab. Ben schrie. Er schrie so laut, dass es ihm weh tat, seine Augen kamen beinahe aus ihren Höhlen heraus, der Elefant flog bereits nach unten, drehte sich, sein Rüssel wurde durch die Luft geschleudert. Ben hörte nicht auf zu schreien, alle seine Muskeln waren angespannt, er zitterte am ganzen Körper, sein Mund war weit offen.
    Da spürte er die Hand auf seiner Schulter.
    Sind Sie frei, sagte eine Stimme.
    Mosca war kurz

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