Nur Blau - Roman
an einen neuen Platz zwischen all die Kopien. Jo ging von Bild zu Bild und ließ sich von dem leuchtenden Blau bezaubern. Er brauchte nicht lange. Jedes Mal fand er es. Auch Mosca versuchte sich. Ihm gelang es selten. Für ihn unterschieden sich Jos Bilder am Anfang nicht von denen Kleins, es war dieselbe leuchtende Kraft, die Pigmente sprachen dieselbe Sprache. Er hatte das Original mit einem Kreuz an der Rückseite markiert, sonst hätte er es unter den anderen nicht wiedergefunden. Er stieg auf die Leiter und drehte die Bilder nach der Reihe auf den Rücken, bis er das Kreuz fand. Die Leiter stand im Flur.
So oft war Jo hinaufgestiegen und hatte die Bilder vom Gestänge genommen, so oft war nichts passiert.
Als Mosca nach Hause kam, vor einem Jahr, lag er da. Jo lag am Rücken, er bewegte sich nicht. Er lag zu Füßen der Leiter, an den Wänden hingen die Bilder. Er hatte es gerade noch aufhängen können. Dann musste er ausgerutscht sein. Die Leiter war stehen geblieben. Jo lag da.
Das Original leuchtete über ihm. Als Mosca in den Raum kam, dachte er, Jo schliefe, er sagte etwas, bekam keine Antwort. Er ging näher hin und langsam packte ihn eine unbekannte Angst. Er sah Jo daliegen, er bewegte sich nicht. Mosca berührte ihn, er redete auf ihn ein, er schüttelte ihn, er schrie in sein Ohr, er war mit seinem Mund ganz nah, so würde er ihn hören, Jo würde sich bewegen und ihn anlachen, er würde ihn hören, er war nicht taub, das war nur eine kleine Lüge, er würde aufwachen. Sein Mund berührte sein Ohr, er schrie tief in Jos Kopf hinein, weit nach unten in seinen Körper.
Nichts bewegte sich. Mosca hob ihn hoch, drückte ihn an sich und weinte. Lange weinte er. Jo lag tot in Moscas Armen. Er lebte nicht mehr.
Das war vor einem Jahr.
Sie standen immer noch im Stau, sein Flugzeug würde in fünfundzwanzig Minuten in den Himmel steigen, er schaute nach oben. Es begann zu regnen.
Langsam kamen Tropfen von oben nach unten. Das Blau am Himmel war verschwunden. Er war jetzt grau. Nur an wenigen Stellen schimmerte es noch hell.
Ich habe dem Himmel meinen Namen auf den Rücken geschrieben. Das hatte Klein gesagt. Er wollte das Blau für sich, auch das Blau des Himmels. Er hatte den Himmel signiert.
Das hatte Mosca immer gefallen, diese Vermessenheit, diese Überheblichkeit und dieser Mut, seinen Ideen eine Sprache zu geben, sie reden, sie schreien lassen, aus sich heraus. Der Himmel war jetzt dunkel.
Es tropfte auf Moscas Haut. Ben drückte den Knopf, um das Verdeck zu schließen, aber es ging nicht. Er drückte noch einmal, aber nichts bewegte sich, nur ein Summen hörte man. Die Tropfen wurden immer mehr. Ben fluchte. Er stieg aus und zerrte am Verdeck, wieder drückte er den Knopf, aber nichts rührte sich. Mosca wurde jetzt unruhig, er stieg aus und versuchte zu helfen.
Lassen Sie das, fauchte Ben.
Das Bild hier sollte nicht nass werden, sagte Mosca.
Mein Auto auch nicht. Ben raste.
Mosca versuchte, das Bild unter sich vor den Tropfen zu verbergen. Es regnete immer mehr.
Machen Sie den Kofferraum auf, bat Mosca, lassen Sie mich das Bild in den Kofferraum geben, schnell, beeilen Sie sich, es ist sehr wertvoll.
Lassen Sie mich mit ihrem Scheißbild in Ruhe, mein Auto löst sich gleich auf.
Mosca kniete auf der Rückbank, nach vorne auf den Sitz gebeugt, er machte eine Brücke, unter der das Bild trocken bleiben sollte, aber es kam jetzt in Strömen vom Himmel.
Tun Sie etwas, schrie Mosca. Gleich würde es nass werden, würde das Wasser auf das Packpapier kommen und sich vollsaugen. Mosca verlor selten seine Fassung. In diesem Moment tat er es. Er packte Ben am Kragen und funkelte mit seinen blauen Augen in das wütende Gesicht des Taxifahrers.
Machen Sie sofort den Kofferraum auf, oder ich tue Ihnen weh.
Er griff nach Bens Hals, er drückte ihn fest an sich, Regen tropfte auf das Packpapier. Lange würde es nicht mehr halten. Jetzt schrie er. Er drückte zu. Fest. Dann schleuderte er ihn von sich und beugte sich wieder über das Bild.
Machen Sie den Kofferraum auf. Jetzt.
Ist schon gut, sagte Ben.
Er nahm den Schlüssel aus dem Zündschloss und sperrte den Kofferraum auf. Vorsichtig legte Mosca das Bild hinein und setzte sich wieder in den Wagen. Genauso ruhig wie zuvor saß er da und ließ sich vom Regen berühren. Er spürte jeden einzelnen Tropfen. Er war zufrieden mit der Welt. Er ließ den Regen auf sich nieder und rührte sich nicht. Das Bild war trocken geblieben, es lag hinten im
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