Nur Blau - Roman
gehört, aber er wollte selbst herkommen und es erleben. Er wusste, dass ihm nichts passieren konnte, aber jeder, mit dem er gesprochen hatte, riet ihm, es selbst auszuprobieren. Alle hatten Uniformen an. Sie rannten in der Gegend herum, aber jeder Schritt war geplant, all ihre Handlungen waren koordiniert, jeder wusste, was er zu tun hatte. Es war ein strenger Ablauf, dem sie folgten.
Es waren Chinesen. Er wurde gebeten, sich hinzulegen. Sie waren freundlich zu ihm. Wenn Sie aufhören wollen, deuten Sie mir, strecken Sie ihren kleinen Finger nach oben, wir machen so lange weiter, bis Sie uns deuten, dass wir stoppen sollen. Haben Sie das verstanden. Wir können Sie nicht hören, wenn die Scheibe geschlossen ist. Sind Sie bereit. Ben nickte.
Er lag auf einer Schaumstoffmatte, zwischen dem Boden und dem Glas würden weniger als dreißig Zentimeter Platz bleiben. Die Scheibe wurde heruntergelassen. Sie war hauchdünn, es war ein Spezialglas, dünn, aber enorm belastbar, das hatten sie ihm gesagt. Es kippte nach unten, rastete ein und blieb vier Zentimeter über seiner Nase liegen. Er konnte nur atmen, sich nicht nach links oder rechts drehen, er konnte nur daliegen. Es war schalldicht. Er hörte nichts außer seinem Atmen. Er sah nur ihre Münder, wie sie auf und zu gingen. Zuerst kam einer auf die Glasplatte, dann ein zweiter, sie gingen über ihm, beachteten ihn nicht, sie begannen, die Spannvorrichtung in Position zu bringen. Ben erinnerte sich, wie dünn das Glas war, als sie es heruntergeklappt hatten. Bei jedem Schritt, den sie machten, hatte er Angst, dass das Glas brechen, dass es zerbersten und in sein Gesicht kommen würde, dass sie ihm die Splitter in sein Fleisch treten würden. Er wusste, dass nichts passieren konnte, sie hatten es ihm gesagt, aber er hatte trotzdem Angst. Er konnte nichts tun, er konnte nur daliegen.
Meinen kleinen Finger in die Höhe strecken, dachte er, wenn sie aufhören sollen, zeige ich ihnen meinen kleinen Finger. Er suchte ihn an seiner Hand und den Mann, der ihm die Anweisungen gegeben hatte. Er war nicht mehr da. Aber er würde kommen und ihn fragen. Ob er weitermachen wollte oder nicht. Er war sich sicher. Ziemlich sicher. Die anderen liefen durcheinander, genau über ihm, sie traten auf sein Gesicht, seine Beine, seinen Bauch. Links und rechts standen zwei zehn Meter hohe Stahlstützen, an denen ein überdimensionales Gummiband hing. Sie befestigten die Enden an einem Tuch. Wie eine riesengroße Steinschleuder, dachte Ben. Dann kam das Schaf.
Sie führten es an der Leine auf die Glasplatte, es wehrte sich, es zappelte hin und her, es schaute nach unten. Das Schaf war genau über ihm. Als es Ben unter dem Glas sah, blieb es stehen und schaute, es senkte den Kopf und begann, die Glasplatte abzulecken. Die Zunge war nur Zentimeter über Ben. Er konnte sich die Laute vorstellen, die aus dem Schaf kamen. Er spürte die nasse Zunge auf seinem Gesicht, so nah war sie. Dann spannten sie es ein. Vier Paar Schuhe trampelten über ihm herum, sie schoben das Gummituch unter das Schaf, die Bänder strafften sich. Dann ging alles sehr schnell. Die Chinesen sprangen zur Seite, nur noch das Schaf war über ihm, es zappelte, von dem Tuch umhüllt, um sein Leben. Dann schoss es in die Höhe. Ben sah den Himmel und wie das Schaf zu einem Punkt wurde in dem Blau.
Die Gummibänder und das Tuch wurden zur Seite gezogen, Ben starrte nach oben, wie das Schaf wieder herunterkam, wie es immer größer wurde, wie es mit Höllentempo auf ihn zuraste. Die Flugbahn war genau berechnet, es flog auf das Zentrum der Glasplatte zu, genau auf Ben. Er versuchte sich zu bewegen, er wusste, dass es nicht ging, er sah das Schaf, immer größer, gleich würde es aufschlagen auf ihm, die Geschwindigkeit machte es zu einer Waffe, es würde gleich zerbersten auf ihm, das Glas würde brechen und er würde tot sein.
Mit einem dumpfen Knall schlug es auf.
In Bruchteilen einer Sekunde war das Glas voll mit Blut. Das Schaf war in der Mitte auseinander gerissen. Innereien schwammen herum, Knochen waren sichtbar, das weiße Fell war rot gefärbt. Ben spuckte aus. Er hatte das Gefühl, das Innenleben des Schafes würde in seinen Mund tropfen, er zuckte, es war grauenhaft, aber er hatte überlebt, das Glas hatte gehalten. Es war totenstill, nur sein schnelles Atmen. Der Speichel rann von der Glasplatte zurück in sein Gesicht. Die Chinesen ließen für einen Augenblick alles so, wie es war. Blut breitete sich aus, rund um
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