Nur Blau - Roman
den Parkplatz, er bremste. Mosca drehte sich nach links. Plötzlich stand das Taxi neben ihm.
Wir können weiter, sagte Ben.
Mosca atmete langsam ein und aus und stieg in den Wagen. Kurz hatte er gedacht, dass etwas nicht stimme, kurz hatte er Angst gespürt, kurz nur. Ben schwitzte. Es war nichts passiert. Er war nur müde. Er hatte seit vier Tagen nicht mehr richtig geschlafen, er würde das Arschloch und sein Bild nach München bringen und das Geld nehmen, er wollte es hinter sich bringen.
Schweigend saßen sie bis München nebeneinander.
Mosca war gespannt, wie sie reagieren würde. Er hatte sie vorher noch nie gesehen. Er hatte lange überlegt, ob er es tun sollte, aber er würde ihr das Bild bringen.
Jo hätte es so gewollt.
Das war gestern Mittag.
5.
Jos Mutter lebte bescheiden.
Sie saß in ihrer kleinen Küche in ihrer kleinen Erdgeschoßwohnung und wurde alt. Sie kochte sich gerade eine Tomatensuppe, als Mosca läutete. Ihr Mann war schon lange tot. Sie hatte Jonathan alleine großgezogen, sie war sparsam und immer schon eine strenge Frau gewesen. Das Leben hatte es nicht gut mit ihr gemeint, ständig waren da diese furchtbaren Enttäuschungen und Schicksalsschläge, mit denen sie fertig werden musste.
Es waren zu viele. Zuerst starb der Mann, und dann sollte sie es hinnehmen, dass ihr einziger Sohn schwul war. Das tat sie nicht.
Als Jo ihr mitteilte, dass er in Frankfurt mit einem Mann zusammenlebte, war es wieder da, ihr Schicksal, das einschlug auf sie. Das konnte sie nicht akzeptieren. Dass ihr einziger Sohn diese abartige Krankheit hatte, dass er sich von irgendeinem alten, geilen Perversen verführen hatte lassen, dass er seinen Verstand verloren hatte. Das durfte nicht sein. Als sie sah, dass er so nicht zur Vernunft zu bringen war, dass ihm diese Abartigkeit nicht auszutreiben war, hat sie ihn verstoßen, sie hat ihn aus der Wohnung geworfen, auf ihn eingetreten, ihn beschimpft, ihn aus ihrem Herzen hinausgetreten.
Sie hatte nie mehr mit ihm gesprochen, sie hatte all seine Fotos verbrannt und sein Zimmer an einen Studenten vermietet. Sie hatte nicht auf seine Briefe geantwortet und den Hörer aus der Hand geworfen, als er angerufen hatte. Sie ist auch nicht zur Beerdigung gekommen. Ihr Jonathan war schon lange vorher gestorben. Dem Studenten erzählte sie, ihr Sohn sei bei einer Bergtour verunglückt. Er saß neben ihr am Frühstückstisch und legte ihr seine Hand auf die Schulter, als sie davon erzählte.
Er war ein großartiger Sportler, sagte sie, er hat unzählige Rekorde gebrochen, aber dann ist er abgestürzt, dann war er einfach nicht mehr da. Sie schaute ohne Regung in die Wand vor sich und schmierte sich selbstgemachte Marmelade aufs Brot.
Der Student fragte, ob es Jonathans Zimmer wäre, in dem er jetzt wohnte.
Es ist jetzt dein Zimmer, sagte sie.
Zuerst war Jo wütend, dann war er traurig.
Sie hatte die Tür zugemacht und sie bis zum Schluss nicht wieder geöffnet. Sie hatte ihn verstoßen, ihn abgetrieben, ihn zu lieben aufgehört.
Ich verstehe nicht, wie man so sein kann, hat Mosca immer gesagt, aber Jo versuchte sie zu verstehen, nachzuvollziehen, wie sie dachte, was durch ihren Kopf ging. Er hat geweint, irgendwann nachdem sie das Bild aus Warschau geholt hatten. Jo war glücklich, und trotzdem weinte er an einem Abend. Sie lagen im Bett, Mosca ist aufgewacht und hat Jo unter Tränen gefunden.
Sie ist meine Mutter, hat er gesagt, egal was sie gemacht hat. Wie konnte sie das tun.
Mosca hat ihn gehalten, hat ihm zugehört und ihn gehalten.
Zuerst habe ich in der Fabrik gekündigt, und dann die Schande, dass ich schwul bin, das war zu viel für sie, das hat sie nicht verstanden, das hatte in ihrer Welt keinen Platz. Das stand nicht in ihrem Kochbuch, auf keiner Seite.
Jo hat die halbe Nacht erzählt, wie er aufgewachsen ist, wie traurig einfach das Leben war im Erdgeschoß, wie wenig er gelebt hat, wie seine Mutter jeden Tag neben ihm gestorben war, wie alles ohne Farbe war. Ein Leben in Schwarz und Weiß und immer dieses ausdruckslose Gesicht, wenn er in die Küche kam und sie mit einem Kuss begrüßte. Wie sie ihn anschaute und nichts sich regte in ihrem Gesicht. Nie ein Gefühlsausbruch, nie eine Träne, kein Lachen, so viele Jahre, nichts.
Und dann am Ende, wie sie schreit und auf mich einschlägt, wie ich meine Hände über den Kopf halte und schreie, Mama, bitte nicht, und sie schreit, ich soll verschwinden, und ich, sie soll aufhören, und sie, dass ich ein
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