Nur Blau - Roman
Und es kommt mir so bekannt vor. Ich wollte dich fragen, ob du meine Kunstgeschichte hast.
Ja, sagte sie, sie sei aber erst bei der Gotik, und dass ihr die Rippengewölbe ganz besonders gefallen, und dass sie bald darüber reden könnten, über die einzelnen Epochen, und dass es faszinierend sei, wie viele schöne Dinge es gibt auf dieser Welt.
Olivier sagte, er freue sich schon auf den Abend, aber sie solle doch in der Gegenwart schauen, ob ihr nicht ein blaues Bild in die Augen fiele, sie solle es doch gleich durchblättern, ein blaues Bild, nur blau, ein intensives Blau, ultramarin, würde er sagen.
Du hast ein blaues Bild gefunden, fragte Herta, und du meinst, ich finde es in diesem Buch. Hast du getrunken, Olivier, hier finden sich nur die Meister und nicht die kleinen Hobbymaler, die ihre Bilder aus Frust auf den Müll werfen.
Olivier bat sie, es trotzdem zu tun, er sei sicher, dass er es schon irgendwo gesehen habe, aber mehr fiele ihm nicht ein, und es müsse die Gegenwart sein, weil vor zweihundert Jahren wäre der Maler noch gesteinigt worden für die Frechheit, nur blau zu malen. Das ist moderne Kunst, Herta, es ist nur blau, keine Linie, kein Fleck, keine andere Farbe sonst, und das Blau leuchtet intensiv, bitte hol jetzt das Buch und fang an zu blättern, ich bin neugierig, Herta, bitte tu es einfach.
Herta holte das Lexikon und kam zurück zum Hörer. Neben ihr am Boden stand ebenfalls ein Teller mit Broten. Sie begann zu blättern.
Ich würde sagen ab neunzehnhundertzwanzig, sagte Olivier. Davor wäre das nicht möglich gewesen.
Er war sich sicher. Er hatte über alle Maler gelesen, aber bei den Mengen, die er las, vergaß er vieles, konnte es nicht mehr finden in seinem Kopf.
Es gibt hier einen Kandinsky, sagte Herta, es ist blau und seltsame Tierchen schwimmen da herum, es heißt Himmelblau. Herta lachte.
Olivier drängte, nur blau, Herta. Nur blau.
Beide bissen von einem Brot ab.
Ich habe eine neue Pastete entworfen, sagte sie, köstlich, die musst du versuchen.
Olivier schaute auf seine Extrawurst und sagte, er freue sich darauf, und ob sie schon etwas gefunden hätte.
Da gibt es ein Bild von einem Dalí, der malt halbe Pferde und eine nackte Frau ohne Kopf und so etwas wie einen Trichter, auf dem eine Hand steckt, und rundherum ist nur blau. Olivier, ich sage dir, die haben Sachen gemalt, unglaublich. Da gibt es ein Bild, das heißt folgendermaßen: Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Aufwachen. Wahnsinn, oder.
Olivier drängte. Bitte, Herta. Nur Blau allein. Kein Motiv sonst, keine Linie, einfach ein blaues Bild.
Olivier bat sie, weiterzublättern, er spürte, dass es irgendwo war. Es war ein Holländer oder ein Franzose oder vielleicht ein Amerikaner.
Hast du es, Herta, überflieg die Seiten einfach, such nur nach einem blauen Bild, nur blau.
Und da war es dann. Herta hatte den Mund voller Pastete. Olivier verstand sie kaum.
Da ist es, sagte sie, Monochrom blau, Yves Klein heißt der Maler.
Da war es wieder.
Olivier erinnerte sich, es war ein Franzose.
Du musst sofort kommen, sagte Olivier, und bitte bring die Pastete mit.
Ich fliege, Liebster, flüsterte Herta.
Olivier legte irritiert den Hörer auf. Herta machte ihm Angst manchmal.
Yves Klein hieß der Mann, er hat blaue Bilder gemalt. Olivier nahm es in die Hand und befühlte noch einmal die Farbe, betrachtete es von allen Seiten, dann drehte er es um. Er sah eine Markierung auf der Rückseite und eine Visitenkarte mit einer Adresse in Frankfurt.
Warum habe ich es nicht gleich umgedreht, dachte er und löste die Karte vom Holz.
Der, dem das Bild gehört, sitzt also in Frankfurt, aber wie kam es in die Tonne, jemand hat es ihm abgekauft oder geschenkt bekommen, aber es kann auf keinen Fall von Yves Klein sein, das ist unmöglich, wie soll ein Klein-Bild in diese Tonne kommen, kein Mensch auf der Welt würde es wegwerfen. Olivier wusste, dass es nicht echt sein konnte, jemand hatte es Klein nachgemacht, es war eine dieser Kopien, die du billig auf der Straße kaufen kannst, aber warum die Visitenkarte, ein Literaturkritiker, das stand da. Warum sollte er billige Kopien verkaufen, warum lag das Bild in der Tonne.
Er wartete auf Herta, er wollte die Abbildung sehen, er war ungeduldig und etwas in ihm hoffte auf ein Wunder. Vielleicht war das sein Haupttreffer, er hatte mehr als hunderttausend Deckel gehoben, er hatte jahrelang im Müll gegraben, vielleicht konnte er
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