Nur Blau - Roman
sich immer zu fremden Menschen setzte. In Gedanken küsste er sie jetzt dafür.
Wenn ihr dieses Blau schon gesehen hättet, könntet ihr verstehen, warum ich so davon schwärme. Es verfolgt mich seit vierzig Jahren, es lässt mich nicht mehr los, ich fahre mit meinem Bus quer durch Europa, nur um diese Bilder zu sehen. Ich hatte eines, aber ich habe es verkaufen müssen. Klein hat es uns geschenkt, eigentlich meinem Bruder, aber der ist gestorben. Dann ging das mit der Galerie nicht mehr und ich hatte Schulden. Das Bild hat mich gerettet. Ich habe mir den Camper gekauft. Da wohne ich jetzt.
Mirella war vierundsechzig Jahre alt. Die Vorstellung, in diesem Alter in einem Bus zu leben, machte Herta und Olivier Angst. Aber Mirella war zufrieden.
Ich habe alles, sagte sie, ich wohne an den schönsten Plätzen, ich kann es mir aussuchen, wo ich lebe.
Sie bemerkte den erstaunten Ausdruck in den beiden Gesichtern vor sich.
Ich bin tatsächlich zufrieden, sagte sie. Das war immer mein Traum. Reisen. Und schöne Dinge sehen. Ich muss Ihnen nicht Leid tun. Ich habe alles.
Herta lächelte, sie spürte Oliviers Drängen auf ihrem Schenkel. Er wollte endlich von dem Bild erzählen, er war ungeduldig, aber er wollte die Italienerin nicht unterbrechen. Sie fühlte sich jetzt wohl, sie erzählte ihr Leben und freute sich, dass sie Zuhörer gefunden hatte, sie sprühte.
Der Wein ist widerlich, sagte sie.
Dann begann Olivier. Er lehnte sich weiter nach vorn, wartete die kleine Pause ab, die Mirella machte, und begann, von dem Bild zu erzählen. Wie es im Müll gelegen ist, wie er es mitnahm, wie ihm dieser Maler einfiel, von dem sie die ganze Zeit sprach, wie ähnlich dieses Bild der Abbildung in seinem Buch war, und dass es unglaublich ist, dass sie jetzt hier sitzen, dass sie diesen Maler kannte, und ob sie nicht einen Blick auf dieses Bild werfen wolle, sie hätten es hier unter dem Tisch, weil sie nicht sicher seien, ob es echt war oder nur eine billige Nachahmung.
Olivier war aufgeregt. Mirella hörte zu, mit großen Ohren, sie konnte nicht glauben, was der Mann mit der aufgeschlagenen Lippe vor ihr sagte. Ein Monochrom unter dem Tisch.
Zeigen Sie es mir, sagte sie schnell.
Olivier atmete auf. Endlich konnte er ihr das Bild zeigen, sie würde wissen, ob es echt war oder nicht. Er bat Herta, es hochzuheben, aber sie hatte es bereits in der Hand und löste das Packpapier. Alle anderen Gäste waren gegangen, nur an der Bar tranken einige Fernfahrer etwas, sie saßen alleine im Restaurant. Das Packpapier raschelte. Sie schoben die Gläser zur Seite und machten Platz für das Bild. Herta hielt es in den Händen. Mirella sagte lange nichts.
Keiner sagte irgendetwas.
Das kann nicht sein, sagte sie nach einer Weile. Das kann nicht sein. Ihr stand der Mund offen. Ihre Augen waren gierig. Das ist genau dasselbe Format. Die Bilder in Mailand hatten dieselbe Größe, und dieses Blau. Mein Bild sah genau so aus, alle Bilder sahen so aus. Und Sie haben es im Müll gefunden, das kann nicht sein. Es sieht so echt aus, es ist genau dieselbe Farbe, ich habe sie so oft gesehen, ich war in so vielen Museen, ich habe so viele Bilder besucht, wie kann das sein, dass ihr zu mir an den Tisch kommt, dass ihr dieses Bild bei euch habt, dass es vielleicht ein Original ist.
Sie überschlug sich mit ihren Worten, es sprudelte heraus aus ihr, sie strich mit ihrer Hand sanft über die Oberfläche, berührte die Farbe, sie nahm das Bild und drehte es um. Die Bilder waren mit einer Halterung an der Wand befestigt, sie standen von der Wand ab, damit das Blau noch mehr Wirkung hatte, die Bilder schwebten im Raum. Sie waren an Eisenstangen befestigt. Mirella sprach, ohne den Blick abzuwenden von dem Bild in ihrer Hand.
Das konnte nicht sein. Da waren zwei Löcher in der Mitte des Rahmens, am oberen und am unteren Rand. Sie berührte mit einem Finger die Ausbuchtungen im Holz und verstummte. Einen Augenblick schwieg sie.
Ich habe die Bilder zwar nicht aufgehängt, aber ich weiß, dass die Stangen in der Mitte des Rahmens befestigt waren. Wozu sollten sonst diese Löcher sein. Es muss eines dieser Bilder sein. Es kann nur eines dieser Bilder sein. Olivier zitterte.
Herta hatte wieder ihre Hand auf der von Olivier, sie drückte sie fest, so fest, dass es Olivier weh tat, aber er sagte nichts, er hing an den Lippen der Italienerin, er beobachtete ihr Gesicht, ihre Hände, er hörte, was sie sagte, und konnte nicht glauben, was passierte.
Eine Fremde an
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