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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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viermal war sie auf der Universität gewesen, und das Zimmer in dem Studentenheim, in dem sie angemeldet war, hatte sie nie bezogen. Sie hatte genug gelernt. Jetzt hatte sie ein Auto und ein Zimmer, sie konnte tun, was sie wollte.
    Da ist es, sagte sie.
    Mosca und Onni setzten sich nach hinten. Ming fuhr auf die Autobahn.
    Das war kurz vor zehn.

13.
    Jos Mutter saß lange am Küchentisch.
    Ihre Hände lagen gefaltet auf der Plastiktischdecke. Sie bewegte sich kaum, saß nur da und schaute geradeaus in die Wand über dem Herd. Sie war zurück in ihre Wohnung gekommen, nachdem sie das Bild in den Müll getan hatte, sie hatte abgesperrt und sich an den Küchentisch gesetzt, ihre Finger ineinander geflochten und sie auf den Tisch gelegt. Dort sind sie lange gelegen. Die Tischdecke war kariert, ihre Bluse dunkelblau und die Wollweste darüber grau. Sie rührte sich kaum, atmete leise, bewegte sich nicht. Sie saß einfach nur da. Und bewegte sich nicht. An der Wand hinter ihr tickte eine Uhr. Ihr Mann hatte sie heimgebracht, einen Nagel in die Wand geschlagen und sie aufgehängt.
    Vor dreizehn Jahren.
    Seitdem hörte sie das Ticken, dieses immer gleiche Geräusch. Es war hinter ihr an der Wand. Es sagte ihr, dass sie noch am Leben war, dass sie nicht tot war, dass sie weiteratmen musste, dass es noch nicht vorbei war, dass wieder ein Tag begonnen hatte am Morgen nach dem Aufstehen im Schlafrock. Mit einer Tasse in der Hand. Das Geräusch der Uhr in den Ohren. Der Blick in die Wand. Nie zum Fenster hin. Immer nur in die Wand.
    Zuerst kochte sie, dann aß sie, dann spülte sie ab. Dann saß sie da und schaute. Alles war ordentlich. Nichts stand am Tisch, alles war an seinem Platz. Sie kam in ihre ordentliche Küche zurück und setzte sich an den Tisch. Das Bild lag draußen in der Tonne. Ihr Sohn lag irgendwo in der Erde. Ihr Mann auch.
    Sie war allein mit den Karos am Tisch. Die Uhr tickte.
    Mehr als drei Stunden saß sie so da. Sie rührte sich nicht. Es gab nichts zu tun. Niemand klopfte an ihre Tür, sie war mit dem Ticken allein.
    Mosca hatte sie erschreckt, sein Läuten. Nur selten bekam sie Besuch, nur selten wollte jemand durch ihre Tür, nur selten war da ein anderes Geräusch als das der Uhr. Das von Tellern und Tassen, das der Töpfe und das Wasser, wie es es aus dem Hahn kam. Sonst nichts. Sie war erschrocken, von ihrem Tisch aufgestanden und zur Tür geschlichen, sie hatte durch den Spion nach außen geschaut und den eleganten Mann gesehen, wie er von einem Fuß auf den anderen stieg, wie er wieder und wieder die Klingel drückte und seine Kiefer ungeduldig aufeinander presste. Wie er fast wütend gehen wollte, bevor sie die Tür aufmachte. Dann wollte, dass er geht, dass er weggeht, sie wollte nichts wissen, sie wollte nichts hören, sie wollte gar nichts. Sie hat einfach die Tür zugemacht. Sie hat das Bild in die Tonne geworfen. Sie hat sich zurück an ihren Tisch gesetzt und ihre Hände gefaltet.
    Drei Stunden lang.
    Dann stand sie plötzlich auf. Ruckartig hob sie ihren Körper. Sie löste ihre Finger und presste die Handflächen auf den Tisch. Dann stand sie, drehte sich zur Tür und sperrte sie auf. Sie lief beinahe. Die Stiegen hinunter, den Gang entlang, hinaus in den Hof zu den Tonnen. Die alten Beine wild durcheinander. Die Hände, wie sie nach der Tonne griffen, weil sie schon draußen auf der Straße stand, weil sie nicht mehr an ihrem Platz war, die Tonne, weil sie jemand hinausgeschoben hatte, weil heute Mülltag war, weil sie vielleicht schon dagewesen waren, weil die Tonne vielleicht schon leer war. Sie hob den Deckel hoch. Aber da war nichts mehr.
    Sie stand vor der leeren Tonne.
    Sie atmete schwer.
    Sie machte leise den Deckel wieder zu. Sie ging leise wieder zurück in ihre Wohnung. Versperrte die Eingangstüre und setzte sich an den Küchentisch. Ihr Atem war immer noch schnell. Sie hörte ihn neben dem Ticken der Uhr. Sie faltete die Hände und legte sie auf den Tisch. So wie sie es immer tat. Ihr Atmen wurde langsamer. Sie atmete durch die Nase, ihr Mund war geschlossen, ihre Brust wölbte sich unter der grauen Jacke, sie schaute geradeaus in ihre Wand. Sie hörte das Ticken der Uhr, sie hörte dieses Atmen, wie es aus ihrer Nase kam. Es war ein störendes Geräusch in ihrer Küche, es passte nicht an ihren Tisch, sie wollte es nicht. Sie hörte zu, wie es langsam weniger, wie das Ticken der Uhr wieder lauter wurde, wie es langsam wieder begann, den Raum zu füllen. Ihre Hände lagen

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