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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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nahm es in ihren Mund, machte es nass an einer Stelle und wischte ihm das verschmierte Blut vom Kinn. Olivier hielt still. Seine Mutter hatte das immer gemacht. Er hatte es gehasst. Sie leckte sich ihre Finger und wischte ihm Tomatensauce aus dem Gesicht. Er musste still halten, durfte sich nicht bewegen, er spürte die Spucke seiner Mutter um die Mundwinkel. Er war bereits zehn Jahre alt. Herta hat wenigstens ein Taschentuch genommen.
    Er wollte sich nicht wehren. Er schaute sie an. Er spürte das nasse Taschentuch, er spürte ihre weichen Finger, wie sie an die offene Stelle kamen, wie sie das Taschentuch auf die kaputte Haut drückten, ohne dass es weh tat. Er schaute in ihr Gesicht, wie zärtlich es war und voller Sorge. Er spürte, dass sie es gut mit ihm meinte.
    Es ist nichts, sagte er.
    Du hattest Glück, sagte sie.
    Wir hatten Glück, sagte er.
    Nicht, wenn es wertlos ist, sagte sie.
    Ich habe noch alle Zähne, sagte er.
    Du hast Recht, sagte sie.
    Und wieder war da dieses diebische Lächeln.
    Herta schob Olivier vor sich her in das Restaurant, das Bild fest in ihrer großen Hand. Sie hasste Autobahnrestaurants.
    Das hat nichts mit Kochen zu tun, sagte sie, hier geht es ums Warmhalten und nicht einmal das gelingt ihnen. Nimm nichts Warmes, höchstens eine Suppe, sonst nur Salat und Brote, du würdest es bereuen.
    Olivier nickte und entschied sich für die Leberknödelsuppe. Herta schimpfte über welke Salatblätter und das fast kaputte Weißbrot.
    Es wird schon gehen, meinte sie.
    In der einen Hand das Tablett, in der anderen das Bild, suchte sie einen Platz. Das Restaurant war beinahe leer, nur vier Tische waren besetzt. Herta steuerte einen davon an. Nicht schon wieder, murrte Olivier, lass uns alleine sitzen, Herta, die Leute wollen ihre Ruhe, hier gibt es so viele leere Tische, Herta, bitte.
    Aber sie hörte ihn nicht mehr, sie stand vor einem Tisch, an dem eine alte, braungebrannte Dame saß.
    Ihr Haar war weiß und Goldschmuck war an ihren Händen, vier Ringe, ein Armband und eine Uhr. Sie schaute freundlich zu Herta hinauf.
    Dürfen wir uns zu Ihnen setzen.
    Die Dame schaute im Lokal herum auf all die leeren Tische, auf Hertas Bauch, auf das Tablett in ihrer Hand, auf das verpackte Bild und dann wieder auf Hertas Gesicht.
    In gebrochenem Deutsch sagte sie, Ja, gerne, wenn Sie wollen.
    Herta lächelte und setzte sich. Das Bild lehnte sie neben sich gegen den Tisch.
    Olivier seufzte.
    Sie sind verletzt, sagte die Dame.
    Es ist nichts, sagte Olivier.
    Er ist gestolpert, sagte Herta, draußen vor der Tür. Er hatte Glück.
    Vielleicht hatte er auch Pech, sagte die Frau.
    Ich hatte Glück, entschied Olivier.
    Dann sagte er nichts mehr. Er zerteilte seinen Knödel und hob ihn zärtlich in seinen Mund, an der frischen Wunde vorbei, langsam. Löffel für Löffel. Herta begann sich zu unterhalten. Olivier konnte nicht verstehen, warum sich Herta immer zu fremden Menschen setzen musste, er mochte das nicht. Es war ihm peinlich. Immer wieder war es passiert, dass sie sich trafen und dann mit irgendwelchen Menschen zusammen­saßen. Herta hatte geredet und er hatte zugehört, nur ab und zu auf eine Frage geantwortet. Er wollte das nicht.
    Die Frau hieß Mirella. Ich wusste, dass diese Frau interessant ist, hat sie später gesagt, es hat mich zu ihr hingezogen, ich konnte nicht anders.
    Sie war Italienerin und wollte nach Frankfurt, wie sie. Herta fragte und sie antwortete. Geduldig und freundlich. Zuerst nur das Nötigste, dann mit jeder neuen Frage länger und offener. Olivier hörte zu, aß seine Suppe. Er ärgerte sich. Gerne hätte er mit Herta über das Bild geredet, gerne hätte er mit ihr geträumt, mit ihr besprochen, wie sie vorgehen sollten am nächsten Morgen, was sie sagen sollten, ob sie das Bild im Auto lassen sollten, wenn sie zu dem Kritiker gingen. Er wollte keine Geschichten einer alten Frau hören, er wollte sich in seiner eigenen zurechtfinden. Er wollte an einem anderen Tisch sitzen, er wollte, dass Herta damit aufhörte. Er teilte den Knödel in winzig kleine Stücke, spielte mit ihnen herum und schob sie in seinen Mund. Er wühlte mit dem Löffel in der Suppentasse, wirbelte die Knödelstücke in der kalt gewordenen Suppe herum. Er langweilte sich.
    Dann hörte er den Namen des Malers.
    Er kam aus dem Mund der Italienerin. Sie sprach von Yves Klein. Sie war die Schwester eines Galeristen aus Mailand. Sie wollte nach Frankfurt, dort gebe es eine große Klein-Ausstellung, sie wollte noch

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