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Nur Blau - Roman

Nur Blau - Roman

Titel: Nur Blau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
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ich von seinem Tod hörte, habe ich lange geweint. Herzinfarkt. Er war noch so jung, so voller Energie. Und er war verheiratet. Rotraud. Eine Deutsche. Sie war auch in Mailand. Ich denke, er hat sie geliebt. Ich habe nie wieder mit ihm gesprochen, ihn nur aus der Ferne gesehen. Ich hatte nur seine Bilder. Wann immer ich konnte, habe ich sie gesehen. Morgen in Frankfurt. Sie zeigen sein ganzes Leben. Von Anfang an. Die Monochrome in den anderen Farben, die Arbeiten in Gold, seine Anthropometrien. Er hat Frauen mit seinem Blau bemalt und sie über die Leinwand gezogen. Er hat sie dirigiert und ihre blauen Abdrücke auf das Weiß gezaubert, er hat Naturschwämme blau getränkt, er hat mit Feuer experimentiert, er hat Architekturen entworfen, er hat sich fotografieren lassen, wie er in die Leere springt. Ich habe ihn begleitet, alles verfolgt, was er geschaffen hat. Ich war oft in Frankreich. Ich war oft in seiner Nähe, habe ihn beobachtet, wie er im Café saß und mit Rotraud lachte. Ich habe in seiner Nähe Urlaub gemacht.
    Mirellas Finger gingen immer wieder von oben nach unten. Sie berührte das Blau, als wäre es Haut, weiche, französische Haut.
    Er hat mich nicht wiedererkannt. Wir waren in derselben Bar. Er war allein. Ich wollte zu ihm, ich wollte mit ihm reden, ich wollte ihn in meiner Nähe, ich wollte ihn berühren. Vielleicht wollte ich wieder seine Lippen auf mir. Ich saß neben ihm an der Bar. Ich sagte nichts. Er trank Weißwein. Dann bezahlte er und ging. Ich blieb sitzen und hasste mich. Ich konnte nicht anders.
    Sie weinte jetzt leise. Tränen kamen über ihre Wangen nach unten. Sie nahm die Hand von dem Bild und stand auf.
    Ich gehe spazieren, sagte sie. Trinkt Wein, macht es euch gemütlich, ich muss an die Luft.
    Dann ging die Tür zu und sie waren allein.
    Was für eine Geschichte, sagte Herta.
    Sie drehte sich zu Olivier, nahm ihm das Glas aus der Hand und küsste ihn.
    Olivier hatte zugehört. Nicht mit ganzer Kraft, aber er hatte zugehört. Seine Gedanken waren bei dem Bild auf der Kommode, bei Herta, bei dem Literaturkritiker in Frankfurt. Er war unruhig. Er sah die Tränen in Mirellas Gesicht, dann spürte er Hertas Lippen auf seinen. Er hatte keine Zeit nachzudenken, so schnell hatte sie das Glas aus seiner Hand genommen und sich zu ihm gebeugt. Ihr Gesicht war plötzlich ganz nah und ihre großen Lippen weich auf seinen. Er rührte sich nicht. Er saß nur da und ließ es geschehen. Er war überrascht, er war erschrocken, er konnte dieses neue Gefühl nicht einordnen, es war feucht, es war warm, er mochte es. Langsam bewegten sich Hertas Lippen auf seinen, langsam begannen sich auch seine zu bewegen. Als Hertas Zunge in seinen Mund kam, fiel er nach hinten. Sie drückte mit ihrer rechten Hand gegen seine Brust und fing ihn mit ihrer linken wieder auf. Er lag seitlich unter ihr. Ihr Speichel war in seinem Mund. Ihr Körper drängte sich an seinen. Ihre Hände begannen die Haut zu suchen unter seinen Kleidern. Olivier schloss seine Augen. Überall spürte er plötzlich Hertas Haut, er spürte ihr warmes Fleisch, ihre weichen Rundungen, er spürte Haut auf Haut. Seine, ihre.
    Sie lagen nackt in den rosaroten Laken und sie umarmten sich.
    Olivier kroch in Herta hinein. Zuerst langsam, dann gierig und tief. Bis er ganz in ihr war. Überall, mit jedem Finger, auf jedem Teil von ihr.
    Was ist mit Mirella, sagte er, was, wenn sie zurückkommt.
    Aber sein Satz verstummte. Herta nahm ihn aus seinem Mund und schluckte ihn in sich hinein.
    Über eine Stunde ging das so. Dann sind sie eingeschlafen. Zuerst Olivier, dann Herta. Nackt, ineinander verschlungen, der kleine, schmächtige Körper von Olivier und der große, weiche von Herta.
    Haut an Haut.
    Das war vor sieben Stunden.

15.
    Anna legte den Bleistift aus der Hand.
    Mit tausend Strichen hatte sie ihr Gesicht gezeichnet, ihren Hals, ihre Brust, die Hände. Auf dem Bild stand sie nackt vor dem Spiegel, über ihre Schultern hinweg ihr Spiegelbild. Ihr Körper nach vorne gebeugt, nur wenige Zentimeter trennten die Nase von dem Spiegel, sie schaute mit großen Augen. Fast aggressiv wirkte ihr Gesicht, herausfordernd die Augen. Ihre Stirn leicht in Falten gelegt, ihr Mund etwas zugespitzt, als würde sie gleich bellen, oder beißen. So war ihr Gesicht auf dem Bild. Gleich würde sie loskläffen, ihre Arme nach oben werfen und auf ihn einschlagen. Doch sie blieb still, sie stand nur da und schaute. Das Bild zeigte sie schön. Sie war wunderschön. Ihre

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