Nur Blau - Roman
still auf dem Plastiktischtuch, ihre Brust beruhigte sich wieder. Bis sie ganz still war. Man sah nichts unter der grauen Jacke. Dass da ein Atmen war. Ein Herz. Nur die Uhr bewegte sich. Bis zum späten Abend war es so.
Dann stand sie langsam auf und holte das Seil aus der Abstellkammer. Sie wollte das schon lange tun. Es aus der Abstellkammer holen, es an den Haken binden über dem Tisch und sich aufhängen.
Ihr Mann hatte das Loch gebohrt und den Haken für die Lampe in die Decke gedreht.
Da kannst du eine Kuh aufhängen, hatte er gesagt, das hält für immer.
Sie zog die Schuhe aus und stieg auf den Tisch. Sie hatte keine Socken an, ihre nackten Füße bewegten sich vorsichtig zwischen den Karos. Sie hob die Lampe von dem Haken und riss an dem Kabel, das aus der Decke kam, sie zerrte daran, die Drähte lösten sich voneinander und sie hielt das Kabel in der Hand. Vorsichtig legte sie die Lampe auf die Eckbank. Sie bückte sich, legte sie geräuschlos auf die braune Polsterung und stand wieder auf, dann nahm sie das Seil und band es fest um den Haken, sie zog daran, um zu sehen, ob ihr Mann Recht gehabt hatte. Sie legte ihr ganzes Gewicht in das Seil, sie hüpfte nach oben und fiel in das Seil. Es hielt. Sie strich sich ihre Bluse glatt und streifte die Falte in der Tischdecke, die sie gemacht hatte, mit ihrem linken Fuß wieder gerade.
Rechts neben ihr tickte die Uhr. Links neben ihr war die weiße Wand. Alles war ihr vertraut. Dann band sie das Seil um ihren Hals. Bestimmt, als hätte sie es schon oft getan, als würde sie ein Marmeladenglas verschließen oder den Tisch wischen. Das Seil zog sie fest um ihre Haut und machte einen Knoten. Es lag gespannt um ihren Hals, sie schluckte, ihr Kehlkopf zuckte kurz. Alles war still, bis auf die Uhr an der Wand. Sie tickte. Sie stand da. Sie bewegte sich nicht. Sie schaute nirgendwohin. Sie überlegte nicht. Sie stand einfach nur da auf ihrem Tisch in ihrer Küche, in ihrem Leben, sie rührte sich nicht. Sie spürte das Seil auf ihrer Haut, sie schloss die Augen. Sie stand einfach nur da, bewegte sich nicht. Lange.
Die Uhr tickte.
Es war kurz nach zehn.
Gestern.
14.
Mirella öffnete die Tür.
Der Bus war groß, geräumig, nichts erinnerte an etwas, das fuhr. Mirella hatte ihren ganz privaten Wohnraum draußen am Parkplatz vor der Raststation.
So etwas habe ich noch nicht gesehen, hat Herta gesagt.
Sogar mit der Küche war sie zufrieden. Hier kannst du ein Menü für zwanzig Personen zubereiten. Das ist unglaublich.
Ja, das auch, hat Olivier gesagt.
Mirella öffnete einen Schrank mit Wein und Gläsern und füllte sie.
Das ist richtiger Wein, sagte sie, und ließ sich auf das orange Sofa nieder. Setzt euch bitte. Und bitte stellt das Bild hier auf die Kommode, damit ich es sehen kann.
Sie nahm es Herta aus der Hand und stellte es vorsichtig hin. Sie war ungeduldig. Herta stand noch vor dem Herd und wollte fragen, wie lang sie mit einer Kartusche Gas kochen könnte, wie das mit dem Backrohr sei, wie viel Wasser in den Tank ging. Mirella sprang auf und nahm ihr das Bild aus der Hand. Herta wollte es kurz festhalten, ließ dann aber los. Olivier zuckte zusammen, als die italienische Hand das Bild berührte, er wollte zu ihr hin und es ihr aus der Hand schlagen, er wollte nicht, dass sie es berührte, er wollte es für sich, er wollte es nicht teilen, er wollte nicht, dass sie es berührte. Doch er blieb sitzen, auf der Bettkante. Sie hatte es an die Kommode gelehnt und war zurück in ihr Sofa gesunken. Herta setzte sich zu Olivier.
Trinkt, sagte Mirella, das ist Wein aus der Toskana. Guter Wein.
Herta und Olivier tranken schnell.
Sie saßen nebeneinander auf der Bettkante in einem fremden Wohnmobil. Die Bettwäsche war rosarot. Zwischen ihnen war Abstand. Das Bett war ihnen unangenehm. Es war kurz nach Mitternacht.
Ist es echt, fragte Olivier.
Er schaute eindringlich zu Mirella hin, das Glas in der Hand. Er wollte es jetzt wissen, er wollte nicht länger warten, er wollte die Bestätigung, er wollte nicht weiter nach Frankfurt, er wollte sich sicher sein und mit Herta zurückfahren, irgendwohin fahren. Mit dem Bild. Und mit Herta. Wohin wusste er nicht, aber er wollte mit ihr zusammen sein. Warum wusste er auch nicht.
Er war gern in ihrer Nähe, er mochte die Ruhe, die von ihr zu ihm ging, er mochte, wie sie auf der Welt war, wie fest sie dastand in ihrem Leben. Er wollte, dass sie bei ihm war. Sie würden das Bild verkaufen und weggehen. Sie würden
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