Nur Der Tod Bringt Vergebung
Fidelma den Kopf. «Eine gute Erklärung, Eadulf, aber leider nicht richtig.»
«Wer sonst hätte ein Motiv gehabt?»
«Zum einen vergeßt Ihr Abbe …»
Eadulf schlug sich mit der Hand vor die Stirn.
«Abbe hatte ich tatsächlich vergessen.» Seine Miene hellte sich auf. «Aber sie hätte nicht die nötige Kraft besessen, auch nur eines der Opfer zu töten.»
«Ich sage nicht, daß sie hinter den Morden steckt. Aber die Person, die wir suchen, ist gerissen. Ihre Gedankengänge winden sich wie ein Pfad durch ein höchst kompliziertes Labyrinth. Ihnen zu folgen, ist nicht ungefährlich.»
Schweigend kniete Fidelma noch einige Minuten neben Seaxwulfs Leiche, dann stand sie auf.
«Weist die Männer an, Seaxwulfs Leichnam in die Abtei zu tragen», sagte sie zu Eadulf. «Bruder Edgar soll ihn untersuchen.»
Sie wandte sich um und stieg langsam den Pfad nach Streoneshalh hinauf, die Hände über der Brosche gefaltet, den Kopf gesenkt.
Eadulf gab rasch die nötigen Anweisungen und ging ihr nach. Er wartete geduldig. Inzwischen kannte er sie gut genug, um zu wissen, daß sie tief in Gedanken versunken war. Nach einer ganzen Weile drehte sie sich zu ihm um. Noch nie zuvor hatte er auf ihrem Gesicht ein so triumphierendes Lächeln gesehen.
«Ja, ich glaube, jetzt paßt alles zusammen. Aber zuerst muß ich noch ins librarium gehen und das Buch mit den griechischen Liebesgedichten finden, in dem Seaxwulf gelesen hat.»
Eadulf blickte sie verständnislos an.
«Ich kann Euch beim besten Willen nicht mehr folgen. Was hat das librarium mit der ganzen Sache zu tun? Worauf wollt Ihr hinaus?»
Schwester Fidelma lachte.
«Darauf, daß ich weiß, wer die Morde auf dem Gewissen hat.»
XIX
Vor Äbtissin Hildas Kammer blieb Schwester Fidelma stehen, sah Bruder Eadulf an und verzog das Gesicht.
«Seid Ihr aufgeregt, Fidelma?» flüsterte Eadulf besorgt.
«Wer wäre unter diesen Umständen wohl nicht aufgeregt?» erwiderte sie. «Unser Widersacher ist stark und gerissen. Und die Beweise, die ich in der Hand habe, sind lückenhaft. Wie ich Euch bereits sagte, gibt es nur einen Schwachpunkt, und es kommt alles darauf an, ob es mir gelingt, die Gegenseite aus der Reserve zu locken. Wenn es nicht klappt …» Sie zuckte die Achseln. «Es ist durchaus möglich, daß uns der Schuldige doch noch entwischt.»
«Ich bin da und werde Euch unterstützen.»
Es klang nicht prahlerisch. Es war eine schlichte, tröstliche Aussage.
Voller Zuneigung lächelte ihn Fidelma an und streckte die Hand nach ihm aus. Eadulf ergriff sie und kurz sahen sie einander tief in die Augen. Dann senkte Fidelma den Blick und klopfte an die Tür.
Wie Fidelma es gewünscht hatte, waren alle versammelt – Äbtissin Hilda, Bischof Colmán, König Oswiu, Äbtissin Abbe, Schwester Athelswith, Priester Agatho, Schwester Gwid und Bruder Wighard, der Sekretär des verstorbenen Erzbischofs. Oswiu hockte mit düsterer Miene auf dem Stuhl vor dem Feuer, der sonst Colmán vorbehalten war. Der Bischof hatte hinter Hildas Tisch Platz genommen. Alle anderen standen im Zimmer verteilt.
Erwartungsvolle Blicke wandten sich Fidelma und Eadulf zu.
Fidelma neigte den Kopf vor dem König und sah dann Äbtissin Hilda an.
«Mit Eurer Erlaubnis, Mutter Oberin?»
«Ihr könnt sofort beginnen, Schwester. Wir sind gespannt darauf, was Ihr uns zu sagen habt, und ich bin sicher, wir werden alle erleichtert sein, wenn es vorüber ist.»
«Also gut.» Fidelma hüstelte aufgeregt, vergewisserte sich mit einem kurzen Blick noch einmal Eadulfs Unterstützung und begann:
«Als wir anfingen, Äbtissin Étains gewaltsamen Tod näher zu untersuchen, ließen wir uns von einem Gedanken leiten, der bei vielen schon zur Überzeugung geworden war, nämlich daß dieser Mord auf politischen Motiven gründete.»
«Diese Schlußfolgerung lag ja wohl auch auf der Hand», warf Bischof Colmán gereizt ein.
Fidelma ließ sich davon nicht beirren.
«Ihr alle seid wahrscheinlich – ebenso wie wir – davon ausgegangen, daß Étain getötet wurde, um die wichtigste Stimme der Kirche Columbans zum Schweigen zu bringen. Und wer hätte daran ein größeres Interesse haben können als die Anhänger Roms, die in Étain ihre gefährlichste Feindin sahen. Habe ich nicht recht?»
Die Anhänger Columbans murmelten beifällig, nur Wighard schüttelte den Kopf.
«Das ist eine verleumderische Unterstellung.»
Fidelma betrachtete den rundlichen Mönch aus Kent tadelnd.
«Aber doch ein Fehler, der
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