Nur Der Tod Kann Dich Retten
im Wartezimmer, wohl wissend, dass bald die ganze Stadt über seinen unangekündigten Besuch bei Ian Crosbie tuscheln würde. Er würde Kontakt mit Marcy Grenn in Boca aufnehmen, dachte er, als er in seinen Streifenwagen stieg, obwohl er sich ziemlich sicher war, dass Ian die Wahrheit sagte. Die Sache gegenüber Kerri zu erwähnen, erschien ihm zwecklos, entschied er und machte sich auf den Weg zum Highway. Sie würde ihm nur vorwerfen, nicht aus Sorge, sondern aus Eifersucht und Gehässigkeit zu handeln, weil die Trauben für ihn zu hoch hingen. Am Ende würde sie glauben, was sie glauben wollte. Das machten die Leute immer.
»Mr. Peterson«, sagte John zu dem Physiklehrer mit der Halbglatze, als er ihm gegenüber Platz nahm. »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
»Sheriff«, erwiderte der Mann und blickte an John vorbei zur Toilette im hinteren Teil des Lokals. Auch an einem Montagabend war das Chester’s brechend voll. Avery Peterson nippte an seinem Gin-Tonic. In der Mitte des Tisches stand eine unangerührte Cola mit einer Zitronenscheibe, die gefährlich auf dem Glasrand balancierte. »Ich bin offen gestanden nicht allein hier. Sie pudert sich bloß die Nase.«
»Kein Problem. Es dauert nicht lang. Ich muss Ihnen lediglich ein paar Fragen stellen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Avery Peterson zuckte die Achseln. »Ich dachte, ich hätte letzte Woche alle Ihre Fragen beantwortet.«
»Es sind neue aufgetaucht, Mr. Peterson -«
»Avery«, unterbrach der Physiklehrer ihn.
John nickte. Er verspürte kein Bedürfnis, sich in irgendeiner Weise enger mit dem alternden Romeo anzufreunden. Er hatte gesehen, mit wem er hier war, eine junge Frau namens Ellie Frysinger, die erst vor zwei Jahren ihren Abschluss an der Torrance High gemacht hatte und jetzt in einem Laden im Shopping-Center Discountkleidung verkaufte. Was die junge Frau an dem unscheinbaren Schürzenjäger mit dem schütteren Haar fand, überstieg Johns Vorstellungsvermögen. Trotzdem war Avery Peterson nach seiner erbitterten Scheidung vor fünf Jahren Gerüchten zufolge mit einer überraschend großen Zahl bereitwilliger junger Frauen zusammen gewesen.
»Ich habe gehört, er ist bestückt wie ein Hengst«, hatte ihm Pauline neulich bei einem Abendessen im Kentucky Fried Chicken anvertraut.
»Ich glaube, das fällt unter die Kategorie ›überflüssige Informationen‹«, hatte John gereizt erwidert und seine Hühnchenkeule unangerührt wieder auf den Teller geworfen. Fanden Frauen so etwas wirklich wichtig, hatte er sich damals wie heute gefragt. Er hatte immer der Idee angehangen, dass Frauen weniger oberflächlich waren als Männer, aber da war er sich zunehmend nicht mehr so sicher. Das schönere Geschlecht war nicht notwendigerweise auch das bessere. Verletzlichkeit war nicht unbedingt das Gleiche wie Sensibilität.
Nun fiel es John schwer, den Physiklehrer – den Physiklehrer seiner Tochter , Herrgott noch mal – anzusehen, ohne an Pferde zu denken, und das war das Letzte, woran er nach einem anstrengenden Tag mit einer Fahrt nach Boca und zurück denken wollte. Marcy Grenn war immerhin sehr freundlich und hilfsbereit gewesen. Sie hatte Ian Crosbies Geschichte bestätigt und ihm sogar ein paar der E-Mails gezeigt, die sie sich geschrieben hatten, nachdem sie sich ein paar Wochen
zuvor in einem Chatroom kennen gelernt hatten. Ihr Mann sei ständig geschäftlich unterwegs, gestand sie ihm, und sie gönnte sich hin und wieder eine kleine Ablenkung. Sie lächelte, als sie ihm erklärte, er solle ihre E-Mail-Adresse nicht verlieren. John war durchaus versucht, dachte jedoch auf dem Weg zurück nach Torrance, dass er und Dr. Crosbie schon eine Frau gemeinsam hatten, und er bestimmt nicht vorhatte, ihr eine weitere hinzuzufügen.
Wegen eines Unfalls auf dem Highway hatte er über eine Stunde im Stau gestanden. Anschließend hatte er sich mit Pauline über eine Nichtigkeit gestritten, bevor er ins Chester’s gefahren war, um Cal Hamilton noch einmal zu befragen. Sein spontaner Besuch bei Ian Crosbie hatte schließlich einen wahren Schatz von Informationen zutage gefördert, die allerdings in Bezug auf den Fall Liana Martin vollkommen nutzlos waren. Deshalb hoffte er, vielleicht auch Cal Hamiltons Zunge lösen zu können.
Aber als er gekommen war, war Cal Hamilton schon weg. Laut Aussage des Barkeepers war er vor einer Stunde ohne ein Wort hinausgestürmt und noch nicht zurückgekommen. John hatte an einem Tisch auf der anderen Seite der Bar
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