Nur Der Tod Kann Dich Retten
in der Kirche gewesen war. Es waren so viele Leute gekommen, dass sie sich bis auf die Straße gedrängt hatten. Er hatte einen Platz auf der Treppe rechts neben dem Eingangsportal gewählt, um die Trauernden bestmöglich im Blick zu haben. Und die klammheimlich Schadenfrohen.
Ihm war nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Wenn Lianas Mörder unter den Trauergästen gewesen war, hatte er keinen Verdacht erregt. Es waren vielmehr die Menschen, die Liana an jenem Nachmittag nicht ihren Respekt erwiesen hatten, denen nun Johns besonderes Interesse galt. Wie zum Beispiel Dr. Ian Crosbie.
»Sheriff Weber?«, fragte eine zierliche straßenköterblonde Frau, die auf einem der Stühle saß. Sie löste sich von der weiß umrandeten, perlgrauen Wand und blinzelte ihn aus einem rosa geschwollenen Auge an.
»Mrs. Marshall«, begrüßte er sie und klopfte sich im Geiste auf die Schulter, weil er sich an ihren Namen erinnert hatte.
»Geht es Ihnen gut, Sheriff?«
»Alles bestens, danke.«
»Das ist schön. Wir wollen doch nicht, dass unser Sheriff krank wird.«
»Vielen Dank, Ma’am.«
»Vor allem jetzt nicht.«
»Ich verstehe.«
»Wir zählen auf Sie, Sheriff.«
Sie musste nicht hinzufügen, wofür. John begriff auch so, dass sie die Ergreifung von Liana Martins Mörder meinte, damit wieder Ruhe und Frieden in der Stadt einkehren konnten. »Ich tue mein Bestes.«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Gibt es schon eine Spur?« Die Frau neben Mrs. Marshall beugte sich auf ihrem königsblauen Stuhl vor und strich eine Strähne ihres mausbraunen Haars hinters Ohr.
So sehr John sich auch anstrengte, der Name der Frau wollte ihm nicht einfallen. »Die Ermittlung ist in vollem Gange«, erklärte er ihr, was eine hochtrabende Umschreibung für Nein, keine Spur war, was sie beide wussten.
Der Mann, der sich ununterbrochen die Nase geputzt hatte, nieste plötzlich, und alle wünschten ihm unverzüglich Gesundheit. »Eigentlich sollte man nicht ›Gesundheit‹ sagen«, erklärte er und schnäuzte sich erneut.
»Wirklich?«, fragte Mrs. Marshall.
»Sagt jedenfalls meine Mutter.«
»Davon habe ich noch nicht gehört«, sagte Mrs. Marshall und wandte sich wieder ihrem InStyle -Magazin zu.
Es war die aktuelle Ausgabe, wie John wusste, weil seine Frau zu Hause die gleiche hatte, und Pauline war immer die Erste im Laden, wenn die neuen Zeitschriften erschienen. Sie empfand es als ihre Pflicht, in Fragen der aktuellen Mode sowie in Sachen Brad und Angelina, Paris und berühmter Hungerhaken
wie Nicole und Lindsay auf dem neuesten Stand zu bleiben. Und warum kannte er überhaupt ihre Namen? Ging ein rätselhaftes Virus um, das auch ihn angesteckt hatte? Prominitis, dachte er und räusperte sich, um ein Lachen zu unterdrücken, das ihm beinahe herausgerutscht wäre. Er fragte sich, ob der gute Doktor etwas dagegen machen konnte.
»Danke, Dr. Crosbie. Auf Wiedersehen, Becky«, zwitscherte eine vertraute Stimme, und Tanya McGovern kam aus einem der Behandlungsräume. »Sheriff Weber«, begrüßte sie ihn lächelnd. »Was machen Sie denn hier? Alles in Ordnung?«
»Alles bestens, Tanya, danke. Und selbst?«
»Ich schlafe in letzter Zeit nicht besonders gut.«
»Das ist verständlich.«
»Meine Mutter meinte, ich sollte mir Schlaftabletten besorgen, also hat Dr. Crosbie mir etwas verschrieben.«
»Wir werden alle besser schlafen, wenn dieser Verrückte gefasst ist«, bemerkte Mrs. Marshall.
»Gibt es schon eine Spur?«, fragte Tanya.
»Die Ermittlung ist im Gange«, antwortete die Frau neben Mrs. Marshall, bevor John etwas sagen konnte.
»Nun, ich geh dann wohl mal besser zur Schule«, sagte Tanya schon halb aus der Tür.
»Pass auf dich auf.« John kehrte ans Fenster zurück und beobachtete, wie Tanya das Gebäude verließ und in einen wartenden Transporter stieg. War das Greg Watt hinter dem Steuer? John presste seine Stirn an das kühle Glas, aber der Wagen war schon um die nächste Ecke gebogen, bevor er den Fahrer ausmachen konnte.
»John?«, hörte er eine Stimme in seinem Rücken. Nicht etwa Sheriff Weber, wie es dem Wesen ihrer Beziehung oder Nicht-Beziehung angemessen gewesen wäre, sondern ein reichlich demonstratives John .
»Ian«, erwiderte der Sheriff und drehte sich gerade noch rechtzeitig um, um das unwillkürliche Zucken zu bemerken,
dass über das attraktive Gesicht des guten Doktors huschte. Ian Crosbie trug unter seinem offenen weißen Kittel ein blau-schwarz kariertes Hemd und eine ordentlich gebügelte
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