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Nur Der Tod Kann Dich Retten

Titel: Nur Der Tod Kann Dich Retten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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weniger das Gleiche. Sie gab nie auf. »Wo steckst du, Angsthase?«, rief sie, wenn sie mich unter den breiten, rot-weißen Sonnenschirmen suchte, die am Strand verteilt standen. »Komm schon, Hasenfuß. Du bist dran. Zeig uns, was in dir steckt.« Es ging so weit, dass mir vor dem Urlaub noch mehr grauste als vor einem Termin beim Zahnarzt.
    Diese Familienausflüge hörten auf, als meine Tante starb.
    Buuhuu.
    Mir fehlt die Muße, näher darauf einzugehen. Ich habe schon zu viel Zeit mit Erinnerungen vergeudet und noch so viel zu tun. Mein ganzer Zeitplan ist durcheinandergeraten, und ich muss überlegen, was ich machen kann, bevor es zu hell ist. Schon jetzt bleibt mir nur noch ein schmales Zeitfenster. Ich darf nicht riskieren, dass irgendjemand merkt, dass ich weg bin. Mit der Geschwindigkeit einer durchs Gras huschenden Schlange hat sich die Neuigkeit von Liana Martins Verschwinden in Torrance verbreitet, und alle sind sehr erschrocken.
    Wenn sie erst ihre Leiche finden, wird es noch viel schlimmer werden.
    Hatte ich erwähnt, dass Liana tot ist?
    Hatte ich erwähnt, dass mein Zeitplan aus dem Ruder gelaufen ist?
    Aus dem Ruder gelaufen – ist das nicht eine großartige Redewendung?

    Ich wollte gestern Abend zurückkommen, meinen Spaß haben, sie erledigen und sie ein paar Meilen entfernt im Sumpf vergraben. Aber was sagt man immer über die besten Pläne … Ein Idiot namens Ray Sutter, der ein paar Bier zu viel getrunken hatte, hatte seinen Wagen unweit der Stelle, wo ich Candy verbuddelt habe, in den Straßengraben gesetzt und musste, bestaunt von einer Menge Schaulustiger, von einem Abschleppwagen herausgezogen werden. (So etwas gilt in einer Stadt wie Torrance als Unterhaltung.) Gut, dass mich niemand bemerkt hat. Aber das tun die Leute nie. Gut auch, dass ich Candy so gründlich verscharrt habe – »Wenn du etwas machst, mach es richtig«, wie meine Tante immer sagte -, obwohl die Leute ohnehin nur Augen für den alten, ramponierten, roten Chevy hatten, der tief im Schlamm steckte. Ich bin gegangen und später wiedergekommen, nachdem der Abschleppwagen seinen Job erledigt hatte und alle verschwunden waren. Ich hörte noch das Echo der Stimme von Ray Sutters Frau durch die Dunkelheit hallen, die in einem fort kreischte: »Ich hab es dir doch gesagt«. Ich bin da ganz ihrer Meinung. Ich finde Leute, die betrunken Auto fahren, sind eine Schande und Gefahr für die Allgemeinheit. Ich finde, sie sollten erschossen werden.
    Candys Grab blieb jedenfalls ungestört. Sie ruht weiter sanft. Wiewohl kaum noch ganz. Ich bin sicher, die Würmer und diverses anderes Getier haben sich inzwischen an ihr gütlich getan.
    Wie dem auch sei, ich konnte erst gegen vier Uhr früh zu dem Haus zurückkehren. Liana hatte geschlafen und war zu dem Zeitpunkt schon halb im Delirium, was den Spaß ein wenig getrübt hatte. Aber zunächst war sie ehrlich erleichtert, mich zu sehen. Sie riss die Augen auf und verzog die Lippen zu der zarten Andeutung eines Lächelns. Ich war kein missgebildetes, sabberndes Monster in schmutziger, blutbefleckter Kleidung. (Haben Liana Martins Eltern ihr nie die Fabel von dem Wolf im Schafspelz vorgelesen? Wenn ich mich recht
erinnere, ist sie für die Schafe nicht besonders gut ausgegangen.) Nein, ich war adrett und präsentabel, habe leise gesprochen, damit sie sich beruhigen konnte, und ihr versichert, dass wir, wenn sie mit mir kooperieren würde, vielleicht einen Weg aus dieser unkomfortablen Situation finden könnten.
    Man darf natürlich nicht vergessen, dass sie seit mehr als sechsunddreißig Stunden nichts gegessen oder getrunken hatte – Notiz an mich selbst: Nicht vergessen, mehrere Flaschen Wasser im Raum vorrätig zu halten für den Fall, dass es noch einmal zu unerwarteten Verzögerungen kommt -, sie war schwach und wirklich ziemlich verzweifelt und deshalb bereit, auf jeden meiner Vorschläge einzugehen, solange sie glaubte, es würde ihr Leben retten. Das hielt sie nach wie vor für möglich, weil das menschliche Gehirn über die scheinbar unerschöpfliche Gabe der Selbsttäuschung verfügt. Wir glauben, was wir glauben wollen, ungeachtet der Beweise vor unseren Augen, und Liana Martin wollte verzweifelt glauben, dass sie mit dem Leben davonkommen würde.
    Also gab ich ihr Wasser und ein halbes Sandwich, das ich im Kühlschrank aufbewahrt hatte und das sie im Handumdrehen verputzte – ganz im Sinne dessen, was ich beim letzten Mal über die Wunder geschrieben habe, die der menschliche

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