Nur Der Tod Kann Dich Retten
liegt schon so lange verlassen, dass die Leute es nur noch als landschaftlichen Hintergrund wahrnehmen. Wie im Kino.
Trotzdem habe ich angefangen, mir Sorgen zu machen. Wenn Lianas Leiche nicht bald entdeckt worden wäre, hätte der Sheriff den Suchradius wirklich ausdehnen müssen, wäre unweigerlich auf das Feld mit dem Haus gestoßen, und das Spiel wäre aus gewesen. Zumindest vorübergehend. Ich hätte einen völlig neuen Plan entwerfen müssen und bezweifle
überdies, dass ich noch einmal eine Lokalität gefunden hätte, die so perfekt geeignet ist. Ganz zu schweigen von der Zeit, die es gekostet hätte, meine Basis zu verlegen und das ganze Unternehmen neu zu starten. Nein, das wollte ich auf gar keinen Fall.
Deshalb habe ich, als die Suchtrupps loszogen, dezent ein paar kleine Hinweise fallen gelassen. Die Leute redeten wild durcheinander. Ein jeder meinte, einen besseren Vorschlag zu haben, wo man die Suche erfolgversprechend beginnen könnte, und nach einer Weile war nicht mehr zu ermitteln, wer was vorgeschlagen hatte, sodass ich sie unauffällig zu dem Feld lotsen konnte, auf dem ich Lianas Leiche begraben hatte. Nachdem wir erst einmal dort waren, bedurfte es nur noch eines kleinen Fingerzeigs, um den Trupp zu der Stelle zu lenken, wo sie – man höre und staune – tatsächlich lag.
Okay, ich gebe zu, das hat Spaß gemacht. Der Blick ängstlicher Erwartung in den Gesichtern der anderen, als der verdächtige Erdhügel entdeckt wurde. Ihre verzerrten Grimassen, als eine schlaffe Hand ausgegraben wurde, und zuletzt das Entsetzen, als Lianas Leiche aus dem Boden gezerrt wurde. Mein Gott, sie sah furchtbar aus. Zeit und Getier hatten ihre Arbeit fürwahr gründlich erledigt, und kein Gloss der Welt hätte den einst sinnlichen Lippen noch helfen können. Natürlich gab ich mich genauso geschockt und fassungslos wie alle anderen. Ich schlug die Hand vor den Mund und tat, als müsste ich mich übergeben, was mir bei dem Geruch von Erbrochenem in der Luft auch beinahe gelungen wäre. Seltsam, wie dieser Geruch ausreicht, um Übelkeit zu erzeugen. Jedenfalls habe ich ein halbes dutzend Mal tief durchgeatmet, wie meine Mutter es mir beigebracht hat, als ich klein war, und dann ging es wieder.
Wie heißt es noch? Mutter hat immer Recht.
Was wissen die schon? Was weiß irgendjemand?
Sie haben nicht mal gemerkt, dass ich da war.
Ich weiß jedenfalls, dass ich keinen fehlgeleiteten Gotteskomplex
habe. Ich habe nicht das geringste Interesse, Gott zu spielen, herzlichen Dank. Und ich ziehe ganz bestimmt keinen perversen sexuellen Kick daraus, andere Menschen zu töten oder ihnen beim Sterben zuzusehen. Wie schon gesagt, ziehe ich die Spannung, das Spiel vor. (Denn es ist ein Spiel.)
Und das bringt mich zurück zu Brenda Vinton.
Brenda Vinton ist eins dieser nichtssagend schönen Mädchen, die man heutzutage überall sieht. Lange Haare, spitze kleine Nase, ausdruckslose Augen. Kaum zum Sterben schön, zumindest dem Foto nach zu urteilen, das ich auf einem der Flugblätter gesehen habe, die überall auftauchten, kaum dass sie verschwunden war. Aber vielleicht ist sie einfach nicht besonders fotogen. Manche Menschen sind so – in Wirklichkeit wunderschön, aber nicht auf Fotos. Dort wirken sie verlegen und gestelzt, ohne Persönlichkeit und Charakter.
Andererseits gibt es Menschen, die auch wohlwollend betrachtet nicht annähernd hübsch sind, aber auf Fotos hinreißend aussehen. Man sieht ein Bild von ihnen und denkt: Diese Person ist umwerfend. Und dann sieht man sie in natura, und sie haben überhaupt nichts Besonderes. Im Gegenteil, oft sind sie ziemlich gewöhnlich. Das gilt auf jeden Fall für viele Topmodels, deren strahlende Gesichter man auf den Titelseiten der Modezeitschriften sieht. Oberflächlich wirken sie atemberaubend, aber eigentlich sind sie nur hoch bezahlte Schablonen für die Vision eines anderen, eine leere Leinwand, die auf die richtige Mischung aus Farbe und Licht wartet. Es bedarf der Hand eines Fremden, um sie zum Leben zu erwecken.
Manchmal bringt die Hand eines Fremden natürlich auch den Tod.
Fragen Sie Liana Martin.
Aber wir reden jetzt von Brenda Vinton, und die hat eins dieser Gesichter, das vermutlich nicht besonders gut altern wird, wenn sie nach ihrer Mutter schlägt, die ich bei einer lächerlichen Pressekonferenz gesehen habe, bei der sie sich tränenreich bei allen Freiwilligen bedankte, die ihr Wochenende
geopfert haben, um ihre geliebte Tochter zu suchen. Mrs. Vinton
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