Nur Der Tod Kann Dich Retten
das dumme Mädchen schon genug Zeit gekostet hat. Ihretwegen muss ich die nächste Phase meines Plans verschieben. Im Moment sind die Leute viel zu hektisch, überall Alarmstufe rot. Der Bürgermeister ist auf dem Kriegspfad. Ein paar Großstadtreporter haben angefangen herumzuschnüffeln. Allenthalben sehen die Menschen sich misstrauisch um, spähen in die Fenster von Autos, die sie nicht kennen, holen ihre Kinder von der Schule ab. Ich beobachte sie, wenn sie sich unbeobachtet wähnen, höre zu, wenn sie reden. Ich verstehe ihre Gefühle. Schließlich bin ich einer von ihnen.
Glauben sie jedenfalls.
Deshalb verstehe ich, dass es zu diesem Zeitpunkt tollkühn wäre weiterzumachen, dass es vielmehr klug ist, wenigstens ein paar Wochen zu warten, bis die Leute wieder ein bisschen nachlässiger geworden und die Reporter wieder in ihre Großstadtredaktionen zurückkehrt sind. So lange jedenfalls, bis der Bürgermeister aufgehört hat, Politik für die Kameras zu machen und der Sheriff und seine Deputies wieder zu ihrem Alltag zurückgekehrt sind und Strafzettel ausschreiben oder auf die Einhaltung der Lärmschutzbestimmungen achten.
Außerdem gibt es keinen Grund zur Eile, denn ich habe das nächste Mädchen schon ausgewählt, obwohl ich mich lieber an meinen ursprünglichen Zeitplan gehalten hätte. Aber man muss wie gesagt auf das Unerwartete vorbereitet sein, auf den Deus ex Machina, wie ungerecht das auch sein mag.
Positiv betrachtet habe ich so mehr Zeit, mich darauf zu freuen, was kommt. Und das ist mir, wie gesagt, sowieso das Liebste.
Wenn ich mit den guten Bürgern von Torrance fertig bin, mache ich vielleicht eine Spazierfahrt und statte Brenda Vinton einen kleinen Besuch ab. Mal sehen. Das zu entscheiden, bleibt noch reichlich Zeit.
12
» O kay Leute, wir haben nicht viel Zeit«, verkündete Mr. Lipsman und wedelte mit den Händen in der Luft, als wäre er in einen Schwarm aufgebrachter Bienen geraten. Er sah sich in der dreihundert Zuschauer fassenden Aula um und winkte ein Dutzend Jugendliche, die sich an der Rückwand des großen Raumes herumdrückten, nach vorn zu den etwa fünfzig Schülern, die sich in den ersten beiden Reihen versammelt hatten.
Megan betrachtete seinen Auftritt von ihrem Platz in der zweiten Reihe ganz links. Sie hatte gehört, dass Mr. Lipsman einmal Ambitionen gehabt hatte, selbst Schauspieler zu werden, seine Mutter diesen frivolen Berufswunsch jedoch abgelehnt hatte, weshalb er seinen Traum nicht weiterverfolgt hatte. Aber als Megan seine übertriebenen Gesten und theatralischen Seufzer beobachtete, fand sie, dass er seine Berufung verfehlt hatte. Es war eine Schande, dachte sie und hätte beinahe Mitleid mit ihm gehabt – nur beinahe, denn er war ein derartiger Blödmann, dass es einem schwerfiel, für längere Zeit Mitgefühl mit ihm zu haben. Aber sie stellte es sich trotzdem schrecklich vor, sein Leben mit etwas zu verbringen, was bestenfalls zweite Wahl war, während man zusehen musste, wie andere, häufig weniger Talentierte sich den Mantel überwarfen, der für einen selbst hätte bestimmt sein können, wenn man nur den Mut gehabt hätte, seiner Überzeugung zu folgen, die Entschlossenheit, seinen Traum zu leben. Und die Kraft, sich seiner Mutter entgegenzustellen, fügte sie hinzu,
schüttelte ihr langes braunes Haar resolut über ihre Schultern und drehte sich auf ihrem Sitz um, als eine Gruppe von Schülern aus den höheren Klassen langsam den Mittelgang hinunter zur Bühne trödelte.
Greg Watts war nicht dabei.
Megan unterdrückte einen Seufzer der Enttäuschung. Sie hatte gehofft, dass Greg doch zu dem Vorsingen kommen würde, trotz der Gerüchte, sein Vater hätte es ihm verboten, weil sein Sohn aufhören müsste, seine Zeit mit solchem »Mädchenkram« zu vergeuden. Sie hatte gehört, wie Joey Balfour das am Morgen ein paar Jungs berichtet hatte. Was war überhaupt mit all den Eltern los? Waren sie alle so jämmerlich mit sich selbst beschäftigt? Natürlich machten sie immer ein großes Getue darum, wie sehr das Glück ihrer Kinder ihnen am Herzen lag, aber wenn das Hauen und Stechen losging – und es waren immer die Eltern, die damit anfingen, Kinder schlugen nur zurück, wenn sie in die Enge getrieben wurden -, war es einzig und allein ihr eigenes Glück, das wirklich zählte. Mrs. Lipsman hatte nicht gewollt, dass ihr Sohn Schauspieler wurde, also hatte er sein Talent und seine Ambitionen hintangestellt und sich mit der Rolle des Theaterlehrers an einer
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