Nur der Tod sühnt deine Schuld
ihr Leben gestohlen, dass sie sich nicht hatte schützen können. Und jetzt war sie wieder allein mit dem Gefühl des Verlusts.
Als sie ihr Sandwich aufgegessen hatte, setzte sie sich aufs Sofa und starrte die Glassammlung ihrer Schwester an. Jedes Stück hatte eine Bedeutung und war zu einem speziellen Anlass gekauft worden – außer dem blauen Herz. Wie die Pillen im Arzneischrank schien das blaue Herz nicht hierherzugehören.
Und doch war es da. Warum hatte Monica es also gekauft? Haley stellte Molly diese Frage, als sie von der Schule nach Hause kam.
»Ich weiß nicht, Tante Haley«, sagte Molly. »Mommy hat es mir nicht gesagt.« Sie zog an einer Strähne ihres Haars. »Jetzt, wo Mommy nicht mehr da ist, kriegen wir bestimmt keine von den schönen blauen Glassachen mehr.«
»Aber natürlich wird es weiterhin welche geben«, erwiderte Haley. Sie hockte sich vor ihre Nichte. »Ich werde jedes Mal eine von diesen Glasfiguren kaufen, wenn in deinem Leben etwas Außergewöhnliches passiert.«
»Was denn zum Beispiel?« Molly sah sie neugierig an.
»Oh, das weiß ich noch nicht genau. Vielleicht sollten wir eine kaufen, weil du wieder sprichst. Dann kaufen wir eine, wenn du auf die Junior High kommst und wenn du dein erstes Date hast. Deine Mommy hat diese Tradition begonnen, und wir zwei werden sie weiterführen. Jetzt hör auf, an deinen Haaren zu ziehen, sonst hast du mit dreißig eine Glatze.«
»Dann kaufe ich mir eben eine Perücke.« Molly ließ die Hand sinken. »Eine lila Perücke. Das wäre cool.«
Haley stand auf und starrte Molly an. »Ich rede schon mit dir wie deine Großmutter früher mit mir. Und du hörst dich an wie ich früher.«
Molly grinste schelmisch. »Mommy hat immer gesagt, dass ich genauso bin wie du.« Sie legte den Kopf schief und musterte Haley neugierig. »Wolltest du auch lila Haare, als du acht warst?«
»Nein, pinke. Ich stand auf Pink, als ich acht war. Und jetzt müssen wir los. Wir haben einen Termin bei Dr.Tredwell.«
Ein paar Minuten später, als sie in Richtung Kansas City fuhren, dachte Haley über Mollys Worte nach.
Monica hatte also ihrer Tochter gesagt, sie sei so wie ihre Tante. Haley warf ihrer Nichte einen Blick zu, und ihr wurde warm ums Herz.
Ihre Zuneigung zu Molly war immer eher abstrakt gewesen. Vor Monicas Tod hatte sie Molly geliebt, weil sie ihre Nichte war und man seine nächsten Verwandten eben liebte. Aber jetzt lernte sie, Molly zu lieben, weil sie Molly war. Ein Kind zu lieben war ein wundervolles Gefühl.
Dass Molly ihr ähnelte, konnte es nur leichter machen. Haley wusste, wie es war, wenn man ein bisschen anders war, wenn man lila Haare wollte und einen starken Willen hatte.
Sie machte sich keine Illusionen über Mollys Erziehung. Die kommenden Jahre würden voller Frustrationen, Streitereien und Enttäuschungen sein. Aber auch voller Erfolge, Lachen und Liebe.
»Wir schaffen das schon, Molly«, sagte sie jetzt. »Bestimmt werde ich viele Fehler machen und du wahrscheinlich auch. Aber wenn wir uns liebhaben, kann uns nichts passieren.«
»Aber könntest du vielleicht lernen, besser zu kochen?«, fragte Molly.
Haley musste lachen. »Ich verspreche dir, dass ich mir in den nächsten Tagen die Kochbücher deiner Mutter vornehmen werde.«
»O ja.« Molly sah sie unverwandt an. »Und können wir manchmal ein bisschen traurig sein wegen Mommy?«
Die Frage zerriss Haley beinahe das Herz. Sie streckte den Arm aus und berührte Mollys Hand. »Wenn du traurig wegen deiner Mommy bist, kannst du es mir sagen. Dann können wir zusammen traurig sein.« Sie legte die Hand wieder ans Steuer. »Aber Molly, es ist auch in Ordnung, wenn wir glücklich sind. Deine Mommy hätte es so gewollt.«
Haley parkte den Wagen, und sie stiegen aus. Eine halbe Stunde später, als Haley auf einem Stuhl vor der Einwegscheibe saß und Dr.Tredwell und Molly beobachtete, kehrten ihre Gedanken zu Grey zurück.
Er hatte ein Kind verloren. Ein Kind, das er vierzehn Jahre lang geliebt hatte. Sie teilte ihr Leben erst seit ein paar Wochen mit Molly, und bereits jetzt war ihr der Gedanke unerträglich, sie zu verlieren.
Grey hatte seine Trauer mit ihr geteilt, und sie hatte die Flucht ergriffen. Er hatte ihr die Narben in seiner Seele gezeigt, und sie hatte nicht protestiert, als er sie nach Hause brachte. Sie hatte nicht darauf bestanden, bei ihm zu bleiben, hatte nicht die Arme um ihn gelegt und gemeinsam mit ihm getrauert.
Sie war mutig genug gewesen, um sich auf einen
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