Nur die Küsse zählen
machen. Als ich ein Kind war, hat es nur uns beide gegeben. Wir waren ein Team und haben alles zusammen gemacht. Aber dann hat sich etwas verändert. Ich bin mir nicht sicher, wann genau, aber eines Tages waren da diese großen Erwartungen. Anstatt mit meinen Freundinnen auszugehen, musste ich nach Hause kommen und bei ihr bleiben. In der Highschool hatte ich keine einzige Verabredung mit einem Jungen. Das lag zum Teil an mir, ich war ein Bücherwurm und nicht sonderlich hübsch. Zum Teil lag es aber auch an ihr. Wenn ich mal gefragt wurde, hatte sie immer ein Dutzend Gründe parat, aus denen ich nicht gehen konnte.“
„Weil sie dich lieber für sich haben wollte?“
Aurelia zögerte. „Ich bin mir nicht sicher. Obwohl sie sich immer darüber beschwert, dass ich nicht verheiratet bin und ihr keine Enkelkinder schenke, bin ich nicht sicher, ob sie glücklich wäre, wenn ich es wäre. Sie hat diese schreckliche Anspruchshaltung. Sie glaubt, dass es meine Verantwortung ist, mich um sie zu kümmern.“
„Ist sie krank?“
„Nein. Sie arbeitet. Trotzdem erwartet sie von mir, dass ich den größten Teil ihrer Ausgaben finanziere. Es ist, als existierte ich nur, um ihr zu Diensten zu sein. Ihr gefällt nicht, dass ich ein Leben habe. Und irgendwie habe ich nie widersprochen. Sie redet gern darüber, was sie alles für mich getan hat und wie dankbar ich dafür sein müsste. Und das bin ich auch. Ich frage mich nur, wann ich jemals ein eigenes Leben führen kann.“
Stephen beugte sich vor und nahm ihre Hand zwischen seine. „Jetzt“, antwortete er sanft. „Du hast jetzt ein eigenes Leben. Je länger du dir das gefallen lässt, desto schwerer wird es, dich davon zu befreien. Willst du vom Leben nicht mehr als das, was du jetzt hast?“
Was sie wollte, war jemand, der sie so anschaute, wie er es jetzt gerade tat. Mit einer Mischung aus Fürsorge und Interesse. Mit einer Intensität, die ihre Finger zittern ließ.
Sie musste dehydriert sein oder so. Das hier war Stephen. Er könnte ihr jüngerer Bruder sein. Nichts an ihm sollte sie zittern oder etwas anderes in ihm sehen lassen als einen Freund. Er war praktisch noch ein Teenager.
„Doch, ich will mehr“, erwiderte sie. „Ich will, was die meisten Frauen wollen. Einen Ehemann und Kinder.“
„Das wirst du nicht erreichen, solange du dich nicht traust, dich ihr gegenüber zu behaupten. Was ist also größer – deine Angst vor ihr oder dein Wunsch, deine Träume zu erfüllen? Denn darauf läuft es schließlich hinaus.“
Innerhalb weniger Minuten hatte er es geschafft, all das in Worte zu fassen, worüber sie die letzten fünf Jahre lang nachgedacht hatte. „Du hast recht“, flüsterte sie. „Ich muss mich ihr stellen.“
Sie schaute ihn an und biss sich auf die Unterlippe. „Aber muss das heute sein?“
Er lachte. „Nein, muss es nicht.“
„Gut. Ich muss noch ein wenig an meiner Courage arbeiten.“
„Also willst du auch noch nicht aus der Show raus?“
Sie schüttelte den Kopf. Allein eine weitere Woche mit Stephen wäre wundervoll. Es war so leicht, mit ihm zusammen zu sein; mit ihm konnte sie so gut reden. Bei ihm fühlte sie sich … sicher. Das war bestimmt keine Beschreibung, die er gern hörte, aber ihr bedeutete das sehr viel.
„Dann müssen wir daran arbeiten, für die Kamera interessanter zu sein“, sagte er und rutschte näher an sie heran. „Ich schlage vor, wir fangen hiermit an.“
Bevor sie begriff, wovon er sprach, hatte er sie umarmt und drückte seinen Mund auf ihren.
Sie wusste nicht, was sie mehr schockierte – der Kuss oder die Tatsache, dass es helllichter Tag war und sie sich draußen befanden, wo jeder sie sehen konnte. Sie war niemand, der mitten am Tag küsste, soweit sich aus ihren wenigen Kusserfahrungen schließen ließ. Auf dem College hatte es ein paar Jungen gegeben, aber die waren alle Nachtküsser gewesen.
Dennoch schien sie nicht genug Entrüstung aufzubringen,um sich dagegen zu wehren. Nicht solange seine eine Hand auf ihrer Schulter lag und die andere auf ihrem Oberschenkel. Nicht solange sie seine Körperwärme spürte und ihr das Herz in der Brust herumzuhüpfen schien. Nicht solange seine Lippen sich so gut anfühlten.
Zögernd hob sie einen Arm und legte ihn ihm auf die Schulter. Langsam, ganz langsam neigte sie den Kopf und entspannte die Lippen. Jetzt spürte Aurelia, dass es sie immer stärker zu ihm hinzog und sie mehr wollte als nur einen einfachen Kuss.
Dann passierte es. Irgendwo in
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