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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Ruf erhärtete, ein Mann mit Humor zu sein. Er aß täglich drei Spiegeleier, über die er Unmengen von Tomatenketchup goss, und im Hove Court erzählte er, sobald er genug Englisch könne, damit er seine Einheit nicht blamierte, wolle er Churchill einen Brief schreiben und sich dafür bedanken, dass sich die Engländer auch im Krieg nicht die Freude am Frühstück hätten nehmen lassen.
    Der Frühstückssoldat hatte in einem halben Jahr trotz der rigorosen militärischen Grundausbildung zehn Pfund zugenommen. Der faule Zahn war gezogen, Walter gegen Pest, Typhus, Cholera und Gelbfieber geimpft. »Alles auf Kosten von King George«, wie er nie zu erwähnen vergaß. Die Zigarettenration war so groß, dass Walter sie nie aufbrauchte, obwohl er ein starker Raucher war, und so immer ein Geschenk für Owuor hatte. Aus dem Nebbich mit Selbstmordgedanken, der erst seine Heimat und dann seine Selbstachtung verloren hatte, war - zumindest bei Tag, wenn er zu viele Pflichten hatte, um an Deutschland zu denken - ein Hans im Glück geworden. Allerdings einer, dem sehr wohl bewusst war, dass seit der Lan-dung der Alliierten in der Normandie die Truppen aus Kenia verstärkt in Burma gebraucht und eingesetzt wurden.
    »Als ob du in Burma irgendwem nützen würdest«, hatte Jettel die Zukunft entschieden, »du hast doch Frau und Kind und einen ganz empfindlichen Magen.«
    Walter blies mit Behagen einen Rauchkringel in die Luft. Er konnte wieder lächeln, wenn er an Jettel dachte. Bereitwillig ließ er seine Augen auf Safari ziehen. Sein vierter Geburtstag fiel ihm ein. Er sah sich in einer grünen Lodenjacke mit seinem neuen vierrädrigen Holländer über das Kopfsteinpflaster von Sohrau rollen. Keiner, das hatte er genau gewusst, war so reich, klug und bedeutend wie er. Nun fuhr der Knabe aus Sohrau in Afrika Eisenbahn erster Klasse; sein war aller Komfort der Welt und der Luxus, der ausschließlich für die sorglose, wohlhabende weiße Minderheit bestimmt war. Als Walter sich vergegenwärtigte, wie selbstverständlich ihm sein Leben im Überfluss geworden war, spürte er einen scharfen Stich in der Brust. Seine Stirn brannte. Beschämt bat er um ein gutes Gedächtnis, damit er nie vergaß, dass Gott ihn in der Zeit seiner Not nicht im Stich gelassen hatte.
    Jeder Blick aus dem offenen Fenster gab einen kleinen Ausschnitt Leben frei. Der Himmel war wolkenlos, das Licht so weiß und klar, wie es in Kenia nur in der Stunde des kurzen Schattens ist. Schwarze Ziegen, denen das kurze Gras der Trockenzeit genügte, weideten meckernd am Bahndamm. Eine Greisin mit maisgelbem Kopftuch hockte unter einem aufgespannten, zerlöcherten Regenschirm, vor sich Stauden von grünen Bananen und Ananas. Meistens hielten die Züge auf freier Strecke vor der Anhöhe, und die Reisenden kauften schon zur Kurzweil das Obst. Auf einem Flecken roter Erde scharten sich Glanzstare mit blau leuchtenden Flügeln um einen Tümpel. Ächzend zog die Lokomotive ihre Wagen eine Steigung hoch. Danach fuhr der Zug so langsam, dass Bewegung und Zeit einschliefen.
    Nur eine Gruppe von Kindern war wach. Die ältesten Jungen waren höchstens zehn Jahre alt, kahlköpfig und in ungegerbte Tierhäute gehüllt. Sie sprangen auf, als sie den Zug entdeckten, stützten sich, wie die alten Männer, auf lange Stöcke und winkten mit der Linken. Walter hörte sie »Jambo« rufen. Er lehnte sich zum Fenster hinaus. So laut er konnte, erwiderte er den Gruß. Die Kleinen saßen und lagen unter einem mächtigen Affenbrotbaum. Es schliefen auch die Hunde und die dürren Buckelrinder. »Misuri«, sagte Walter. Unmittelbar darauf sagte er »Rongai«. Als die Erinnerungen wie Geröll vom Berg auf ihn einstürzten, bereitete er seine Arme aus. Die Freude eines Tages, für den er in seinen Gebeten nie zu danken vergaß, brannte noch nach sechs Jahren.
    Am 4. April 1938, nachmittags um zwei, hatte Owuor den Vanillepudding serviert, den er seit acht Wochen Tag für Tag auf den Tisch brachte und den Walter zum Vergnügen seines Koches immer noch schmatzend lobte, doch dieses eine Mal war alles anders. Nach dem ersten und vor dem zweiten Bissen erzählte der Bwana, die Mem-sahib und das Toto würden bald in Kenia eintreffen. Jet-tel hatte aus Breslau geschrieben, sie und Regina hätten Passagen für die »Adolph Woermann«. War Walter je so erleichtert, je wieder so glücklich und dankbar gewesen?
    Owuor, im Allgemeinen gesegnet mit der Phantasie eines Dichters und der flinken Zunge der antiken

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