Nur die Liebe bleibt
Naturell her ein umgänglicher Mann, hätte sehr viel lieber mit einer Zeitung und einem Mokka in einem Wiener Kaffeehaus gesessen, statt in einem Zug nach Gilgil, in dem er auf Befehl seiner Frau gegen die Nachbarwand hatte hämmern müssen. Zu Hause war er Beamter auf Lebenszeit bei der österreichischen Bahn gewesen und nun Buchhalter im New Stanley Hotel in Nairobi. Schon weil seine Sprachkennt-nisse nicht mit den Assimilationsbestrebungen seiner patriotischen Gattin Schritt hielten, redete er nicht viel.
Henny Bruckmann tat allzeit kund, dass dies bei ihr nicht der Fall war. Mit ihrem Pudel, ihrer Freundin aus Linz und meistens auch mit ihrem Mann sprach sie Englisch. Dass ihre neuenglische Zunge in einem besonders kritischen Moment ins Wiener Idiom abgerutscht war, war Mrs Bruckmann mehr als peinlich. Immerhin hatte sich Dr. Redlich beim Singen der deutschen Lieder ungeniert laut der Sprache des Feindes bedient. Nach Dafürhalten einer »friendly alien« war das eindeutig Volksverrat, doch war der unbotmäßige Sänger im ganzen »Hove Court« berüchtigt dafür, dass er bei Streitigkeiten äußerst unangenehm werden konnte und zudem bei seinen Gegnern spontan Schwachstellen aufzudecken wusste. Walter verlor keine Zeit, seinen Ruf zu festigen.
»Sieh mal an«, sagt er in einem Flüsterton, den alle, die ihn kannten, als eine eindeutige Kampfansage gewertet hätten, »unsere reizende Misses Bruckmann. How nice to meet you, Madam. Ich glaube, Sie haben nach mir gerufen. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
Henny Bruckmann starrte Walter an. Es war ihr gelungen, zur Sprache ihres neuen Vaterlandes zurückzufinden. Allerdings mangelte es ihr im entscheidenden Moment am passend kräftigen Ausdruck. So sagte sie überraschend kurz: »Sie dürfen doch hier nicht Deutsch sprechen.«
Private Redlich stemmte seine Hände in die Hüften. Eine Weile begnügte er sich damit, das Ehepaar Bruckmann schweigend zu fixieren. Als sowohl Henny als auch Arthur, flächendeckend in zorniger Röte erglüht, schon sicher waren, der rüde Eindringling würde wieder in sein Abteil zurückgehen oder sich vielleicht gar entschuldigen für seine Rüpelei, fing Walter an zu brüllen. Bruckmanns mochten ihren Ohren nicht trauen. Walter sprach immer noch Deutsch. »Glauben Sie«, brüllte er, »ein Soldat in der Uniform Seiner Majestät lässt sich von zwei miesen Emigranten den Mund verbieten? Das war einmal, dass Leute wie Sie mich demütigen konnten, nur weil Sie ein paar lumpige Pfund mehr verdienten und Blumenkohl mit Karfiol anredeten.«
In dem kleinen Eisenbahnabteil schwoll Walters kräftige Stimme zum lauten Donner an. »Wissen Sie was, Sie können mich am Arsch lecken«, schrie er, »in jeder x-beliebigen Sprache.«
Walter merkte, wie er außer Atem geriet und dass er sich in eine Rage gesteigert hatte, die absolut nicht zu dem Anlass passte. Er beschloss, in sein Abteil zurückzugehen, ehe die Bruckmanns sich von dem Schock seines Angriffs erholt hatten, doch bevor er sich umdrehen konnte, klatschte ihm eine Hand auf den Rücken. Es war eine kräftige, schwere Hand, ohne Zweifel die Hand eines Freundes, und sie gehörte Andy, dem fröhlichen Schotten mit den Sommersprossen. Hinter ihm, Schulter an Schulter, standen Harry und George.
»Was ist los, Jerry?«, fragte Andy.
»Wer will dir was?«, fragte George.
Walters Augen funkelten immer noch Zorn. Oder war es schon Schadenfreude? »Diese Leute hier«, sagte er, und er brauchte nach keinem einzigen Wort zu suchen, »wollen mir verbieten, in meiner Muttersprache zu reden. Und das an meinem Geburtstag. «
»Das«, sagte George »werden wir gleich haben.« Er spuckte, weil er ohnehin langsam sprach, jedes Wort einzeln aus. Nach dem letzten rieb er sich die Hände.
Ein David, der in der Not solche Freunde hatte, konnte sich Großzügigkeit leisten. »Lass sie«, sagte Walter und schaute Henny Bruckmann an, »es sind doch nur bloody Refugees.«
»Erst entschuldigen Sie sich, oder ich schmeiße Sie quer aus dem Fenster«, befand George. Von den dreien war er der Mann der Tat. Er rüttelte am Fenstergriff.
»Sorry«, murmelte Henny Bruckmann. Sie schaute auf ihre Schuhe und stellte ihre Füße adrett nebeneinander. Weil sie sehr aufgeregt war, hatte sie Schwierigkeiten mit ihrem Englisch. »Das war doch alles nur ein Missverständnis«, stammelte sie auf Deutsch.
»Bloody Germans«, grinste Walter.
»Fucking Germans«, verbesserte Harry.
»Wir wussten gar nicht, dass du
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