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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Verstand und alter Adel: Er konnte über sich selbst lachen, und das tat er mit vergnügter Selbstverständlichkeit. Er benahm sich genau so, als hätte man ihm als Elfjährigem im Internat die Ärmel seiner Pyjamajacke zugenäht und eine Kaulquappe ins Bett gelegt, um zu testen, ob er lachend den Kakao zu trinken vermochte, durch den man ihn zog.
    In der Mannschaftsmesse kam es mindestens jeden zweiten Abend vor, dass junge Kameraden mit Walter ein Bier oder einen Brandy trinken wollten. Bei den anderen vier Refugees, die in der Einheit dienten, war das absolut nicht der Fall. Sie konnten zwar sehr viel besser Englisch als Walter und bemühten sich, allzeit den Eindruck zu erwecken, sie hätten keine geistigen Interessen und würden ihr letztes Hemd verkaufen, um einem Cricketmatch beizuwohnen, doch sie hatten nicht gelernt, auf die gute englische Art beim Spielen zu verlieren - blendend gelaunt und mit einer Runde Drinks für die Mitspieler.
    Mit Walter das Glas zu heben galt als ein kapitaler Spaß. Durch die Jahre auf der Farm und aufgrund der finanziellen Verhältnisse, die ihm kaum seinen Lebensunterhalt sicherten, war er Alkohol nicht mehr gewöhnt, schon gar nicht die hochprozentigen Seelenfreuden seiner jungen Kameraden. Zu ihrem Vergnügen begann er schon nach dem ersten Glas zu singen, meistens »Gaudeamus igitur« und anschließend fast immer das Lied von der Lili Marleen - zum allgemeinen Staunen in der englischen Fassung. Die hatte er drei Tage lang mit Regina eingeübt.
    Seinen Vorgesetzten fiel der vierzigjährige Familienvater mit dem entsetzlichen Akzent und dem Eifer, jeden Befehl so gut und so prompt wie möglich auszuführen, noch durch eine andere geschätzte Eigenschaft auf: Bei fortschreitenden Sprachkenntnissen ließ er sich optimal zum Abfassen schriftlicher Berichte einsetzen. Soldat Redlich, schließlich immer noch »a bloody refugee«, machte kaum orthographische Fehler. Außerdem hatte er nach Einschätzung seiner Vorgesetzten ein gutes Empfinden für die thematische Gliederung des zu behandelnden Stoffs. Diese Fähigkeit, an der es den frisch vom Mutterland eingetroffenen Soldaten in der Regel mangelte, hatte Walter nun zu einem sehr frühen Zeitpunkt seiner militärischen Laufbahn einen ehrenden Auftrag eingebracht. Er sollte seine Kompanie in Gilgil vertreten. Dort würde er zusammen mit drei Schotten, die gleich ihm im Camp Ngong stationiert und erst zwei Monate im Land waren, an einem Informationsgespräch teilnehmen. Es ging um das Fazit, das aus dem Abessinienkrieg zu ziehen war, und die Anwendbarkeit der Studie auf Kenia, Uganda und Tanganjika.
    Walter hatte in Nairobi das schottische Trio, das im Übrigen zuvor noch nie von Abessinien gehört hatte, einsteigen sehen: Andrew, genannt Andy, George und Harry -Namen, die sich ein Mann mit deutscher Zunge mühelos merken und ziemlich mühelos aussprechen konnte. Es waren liebenswürdige junge Burschen, die mit Walter reisten. Sie waren höchstens zweiundzwanzig, sahen aus wie siebzehn, waren übermütig wie junge Pferde und zu Walters Verblüffung von dem Gedanken besessen, Schottland müsste nach dem Krieg seine Unabhängigkeit vom englischen Mutterland erstreiten und wieder ein eigenständiges Königreich werden. In Walter witterten sie einen willkommenen Zuhörer, der sich für ihre politischen Ansichten interessierte. Außerdem war er zweifellos kein Engländer, und es hieß, er sei auch nicht katholisch.
    »Wir hassen die Engländer«, begann Andy die Lektion. »Sie haben uns wie räudige Hunde behandelt.«
    »Sie verachten uns«, erklärte George, »und wir verachten sie. Sie haben uns ausgeblutet. Wie die Schweine.« »Wann?«, wollte Walter wissen.
    »Immer«, entschied George. »Mein Vater zahlt sich tot an Steuern, und mein Onkel ist auch pleite.«
    »Und sie werden wieder hinten stehen und zusehen, wie sie uns in Verdun verheizen«, prophezeite Harry. »Von wegen alliierte Bruderschaft. An die glaubt noch nicht einmal meine Großmutter. Und die ist blind und taub.« Das bemerkenswerte Gespräch hatte drei Tage nach der Ankunft der Schotten im Camp Ngong stattgefunden -nach dem Abendessen und vor dem Whisky, den sie aus Wassergläsern tranken. Weil Walter den schottischen Kämpen erklärt hatte, dass um Verdun im Ersten und nicht im Zweiten Weltkrieg gekämpft worden war, hielten sie ihn für einen außergewöhnlich gebildeten Mann. Sie bewunderten ihn auch, weil er in seiner Freizeit Zeitung las und eine Patience legte,

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