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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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auch im Zug bist, Jerry. Hast du Andy nicht singen gehört?«
    »Nein«, schwindelte Walter.
    Alle drei begleiteten ihn zu seinem Abteil, als er seinen Tornister holte. Harry entdeckte die Karaffe mit dem abgekochten Wasser. »Sag nur, du hast das Zeug getrunken?«
    »Nein, damit hab ich mir den Hals gewaschen. Ihr trinkt doch nicht jetzt schon Whisky?«
    »Und ob. Einen echten sogar. Den hab’ ich noch von zu Hause mitgebracht.«
    Schon der erste Whisky wirkte. Walter tauchte endgültig in ein Paradies ab, in dem er an einem blumenbekränztem Tisch mit guten, zupackenden Freunden saß. Die scherten sich nicht darum, woher ein Mann kam und zu wem er abends betete. So ritt Walter an seinem vierzigsten Geburtstag auf einem geflügelten Ross in den Himmel der Seligkeit. Und doch fiel ein Schatten auf seinen schönen Traum. Das Tor zum Paradies mit den zupackenden Freunden stand ausschließlich Private Redlich offen, nicht dem Mann, der nach seiner Entlassung vom Militär noch froh zu sein hatte, wenn er wieder als kümmerlich bezahlter Farmangestellter in Ol’ Joro Orok seinen Lebensunterhalt verdiente.
    »Nebbich«, seufzte Walter. Seine Zunge war schon schwer. Die zwei kurzen Silben fühlten sich in seinem Mund wie chloroformierte Watte an.
    Andy, der Grübler, betrachtete nachdenklich seinen schlafenden Kameraden. »Möchte mal wissen«, sagte er, »wie die Deutschen den Krieg gewinnen wollen, wenn sie noch nicht einmal einen kleinen Whisky vertragen.«

Zurück nach Hause?
    Nairobi-Mombasa, 9. März 1947
    »Die sind doch nicht alle für uns gekommen?«, staunte Regina. »So viele Leute habe ich noch nie hier am Bahnhof gesehen. Ich wusste gar nicht, dass wir so viele Freunde haben.«
    »Haben wir auch nicht. Doch in einer Situation, in der es in erster Linie auf Krokodilstränen und Sensationslust ankommt, tun es auch Feinde. Schließlich will sich keiner die Gelegenheit entgehen lassen, dabei zu sein, wenn sich deine Mutter die Kleider vom Leib reißt, weil sie sich von den Fleischtöpfen Ägyptens trennen muss. Zur Befriedigung solcher Schaulust gab es in der guten alten Zeit öffentliche Hinrichtungen.«
    »Mach das Kind nicht meschugge«, ärgerte sich Jettel. »Welches?«, fragte Walter.
    »Beide, du gottverdammter Narr. Regina ist blass wie die Wand, und Max hat sich gerade in die Hose gemacht.« »Umgekehrt wär’s schlimmer. Du musst endlich lernen, das Beste aus dem Leben zu machen, Jettel. Es ist das erste Mal seit neun Jahren, dass wir zusammen auf eine Reise gehen dürfen. Denk doch nur an den 8. Januar 1938 in Breslau. Wir hätten dem Teufel unsere Seelen verkauft, wenn wir uns nicht voneinander hätten trennen müssen.«
    »Dafür hast du ihm jetzt deine Seele verkauft. Sonst würden wir zu Hause im >Hove Court< sitzen, statt auf dem Weg in das Land der Mörder zu sein. Alle sagen, du bist ein hirnverbrannter unverantwortlicher Egoist.«
    »Das ist das Wunderbare an dir, Jettel - deine Reaktionen sind genau berechenbar. Du sehnst dich immer nach dem Ort, an dem du gerade nicht bist. Wäre ich doch nur früher auf die Idee gekommen, dass du das >Hove Court< als dein Zuhause empfunden hast! Ich hab dich immer nur Stein und Bein jammern hören.«
    »Sei du mal in Nairobi schwanger, wenn der große Regen ausbleibt.«
    »Das wird dir nicht mehr passieren. Ehrenwort. Wenn du willst, lasse ich dir von all diesen ehrenhaften Leuten, die gekommen sind, um uns das letzte Geleit zu geben, schriftlich bestätigen, dass ich dir das beim Leben meiner Kinder versprochen habe.«
    Regina schob ihren schlafenden Bruder von ihrer rechten auf die linke Hüfte. Er öffnete die Augen und sagte, weil das Wort ihn stets beim Aufwachen entzückte: »Jam-bo«. Mit der freien Hand hielt ihm seine Schwester ein Ohr zu und drückte das andere an ihren Körper. Ihre Pflicht war es, Max vor den Schlachten seiner kriegslüsternen Eltern zu schützen, denn es war gefährlich für den Kopf und das Herz, wenn auch nur der Schatten eines vergifteten Pfeils die Stirn eines Kindes streifte, ehe es auf seinen Beinen stehen konnte. Das hatte Regina von Owuor gelernt, als sie selbst noch ein Kind gewesen war und eine Heimat gehabt hatte. In Ol’ Joro Orok, wo die Erde rot leuchtete und der schwarze Gott Mungu morgens seine Augen mit dem Schnee vom Mount Kenya kühlte.
    Seit einem Jahr und drei Tagen waren die Redlichs zu viert. Als Jettel ihrem Mann von ihrer Schwangerschaft erzählte, hatten sie, wie nach dem Tod ihres zweiten Kindes,

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