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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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gemeinsam geweint und bis zum Tag der Erlösung nicht gewagt, die Freude in ihr Herz zu lassen. »Das Einzige, das mir in diesem Land je gelungen ist«, sagte Walter am 6. März 1946, als ihm das Kind der Sehnsucht in die Arme gelegt wurde. »Du wirst kein Refugee mehr sein, mein Sohn. Das schwöre ich dir.«
    »Ich werde ihn immer beschützen«, versprach Regina. »Er wird dich beschützen«, widersprach ihr Vater. »Dafür habe ich ihn ja gemacht. Du bist ein so gutmütiges Schaf wie dein Vater. Du kannst dich im Leben nicht wehren.«
    »Und ich werde dafür sorgen, dass er nicht Jura studiert«, nahm sich seine Mutter vor. »Die Juristen sind überall auf der Welt verloren.«
    »Nur zu Hause nicht, Jettel. Warte nur ab, das kommt
    wieder.«
    Am Tage seiner Geburt gab es keinen Zweifel, dass das energische Baby Max heißen würde - im Gedenken an seinen Großvater Max Redlich, der ein deutscher Patriot gewesen war und der von einem Mörder in deutscher Uniform erschlagen wurde. Anfang 1946 war in Nairobi ein Brief von einem russischen Lehrer eingetroffen. »Ihr Vater«, hatte der Unbekannte geschrieben, »ist am 17. November 1942 in Tarnopol von einem SS-Mann auf der Straße ermordet worden. Er war sofort tot und hat nicht zu leiden brauchen. Ihre Schwester Liesel hat man mit dem dritten Transport in das Konzentrationslager Belzec deportiert. Eine Woche vor seinem furchtbaren Tod gab mir Ihr Vater Ihre Adresse. Da wusste ich, dass er wollte, dass ich Ihnen schreibe, wenn ihm etwas passiert.«
    Max Ronald Paul Redlich, dem das Schicksal die Bürde des Spätgeborenen bestimmt hatte, war ein Kind der Sonne. Umgeben von Rosen, gelb blühenden Kakteen und Zitronenbäumen schlief und spielte er den ganzen Tag unter demselben Baum, in dessen Schatten seine schwangere Mutter die gnadenlose Hitze von Nairobi verflucht hatte. Er griff nicht, wie die Kinder Europas, nach Klappern und Gummienten, sondern nach weißen Schmetterlingen und Vögeln mit kobaltblauem Gefieder. An seinem Kinderwagen ging keiner der Bewohner des »Hove Courts« schweigend vorbei, hatte doch bei den Emigranten, die seit Jahren auf der Suche nach einer neuen Heimat waren, ein in Kenia geborenes Kind von Schicksalsgenossen den gleichen Stellenwert wie die ersehnte Einbürgerung. Das viel beneidete Baby hatte nicht nur Anspruch auf Nahrung und elterlichen Schutz, auf den Zuspruch der Nachbarn, auf ihr Lächeln und ihre Schmeicheleien, sondern vor allem auf einen britischen Pass.
    »Du hast gut lachen, mein Sohn«, hielt ihm sein Vater vor und drückte ihm seine Militärmütze auf den Kopf, »deine Leute haben den Krieg gewonnen und sind dabei, die Welt neu aufzuteilen. Die Heimat deines Vater ist jetzt polnisch, und du wirst sie nie kennenlernen.«
    Im Gegensatz zu seinen britischen Landsleuten war der kleine Engländer sehr aufgeschlossen für das reiche sprachliche Angebot im Lande seiner Geburt. Allerdings auch ein wenig heikel. Er reagierte viel lebhafter auf die vollen Laute des Suaheli als auf das Deutsch seiner Eltern oder auf die englischen Annäherungsversuche der nach
    Assimilation durstenden Nachbarn. Sein erstes Wort war weder Papa, Mama noch hello, sondern »Aja«.
    Seine Eltern und seine Schwester bestaunten immer wieder das Wunder, dass es ihn gab. Am Freitagabend wurde, wie einst in Leobschütz, der Tisch für den Sabbat gedeckt und das Brot gesegnet. Es roch nach Hühnerbrühe und ein wenig auch wieder nach dem alten Gottvertrauen. Nach der Geburt seines Sohnes nahm Walter auch wieder die Gewohnheit seiner Jugend auf und ging am Samstagmorgen in die Synagoge. Dem Gott, dem er gezürnt hatte, weil ihm Vater und Schwester, seine geliebte Schwiegermutter und die Schwägerin genommen worden waren, dankte er nun für die Gnade, die ihm widerfahren war, und die Hoffnung, die ihm sein Sohn gebracht hatte.
    Regina bezweifelte keinen Moment, dass Gott ausschließlich ihr das Wunderkind geschenkt hatte. In den Ferien saß sie jeden Nachmittag mit ihrem Frohsinn gurgelnden Bruder unter dem süß duftenden Guavenbaum, in dem ursprünglich die englische Wunschfee logiert hatte. Die wurde nun nicht mehr gebraucht und war unbekannt verzogen. Weil Regina unmusikalisch war und keinen Ton richtig singen konnte, las sie ihrem Bruder Romane von Dickens und die Gedichte der englischen Romantiker vor. War er wach genug, um ihn mit seiner Umwelt und Zukunft vertraut zu machen, erklärte sie ihm in drei Sprachen, wie schwer es wäre, Kind in einer Familie zu

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