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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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noch.«
    Die Lebensmittel für Breslau sorgsam auf dem Küchentisch gestapelt, war Greschek am Abend zuvor Gretes Geplauder nur als der gedankenlose Unsinn erschienen, zu dem seiner Meinung nach alle Frauen neigten. Der guten Grete war kein Vorwurf zu machen. Sie wusste ja nichts von der Welt. Schon gar nicht, seitdem er nicht mehr, wie früher, mit dem Herrn Doktor auf Reisen gehen und ihr von der Fremde erzählen konnte. Zu Hause, in der Geborgenheit von Leobschütz, hatte sich Greschek nicht die Mühe gemacht, mit Grete über die Veränderungen des Lebens zu reden. Ihm selbst war nur allzu klar, dass Frau Ina und ihre Tochter in ihrer Not ganz andere Sorgen hatten, als sich mit der Frage zu beschäftigen, ob Gott den Juden eine Wurst aus Schweinefleisch zugestehen würde oder nicht. Nun aber, da Breslau nicht mehr nur ein Wort, sondern vielleicht das Ende seiner Hoffnung war, die Menschen wiederzusehen, denen er zu helfen versprochen hatte, war Greschek im Nachhinein die ganze Szene zuwider. Bei dem Gedanken, was ihn in Breslau erwartete, würgte es ihn.
    »Sie sollten was essen«, riet die Frau. »Das Geräusch kenne ich. Nur zu gut. Mein Mann machte das auch, wenn er Sodbrennen hatte.«
    »Das mit ihrem Mann tut mir leid.«
    »Er ist gar nicht in Russland vermisst. Er ist zwei Tage vor Kriegsausbruch gestorben. An einer Blutvergiftung. Doch ein Mann, der auf dem Feld der Ehre geblieben ist und eine Witwe mit sechs unversorgten Waisen hinterlässt, macht sich heutzutage wesentlich besser als einer, der nicht rechtzeitig zum Arzt ging und in seinem Bett starb. Und ehe Sie weiter so blöd auf meinen Bauch starren, mein Herr, schwanger bin ich natürlich auch nicht.« »Sie meinen, sechseinhalb Kinder sind besser als sechs?« »Viel besser.«
    »Na, Sie sind mir eine. Von Ihnen kann sich mancher Mann eine Scheibe abschneiden. Eine gewaltige. Auf so etwas wäre ich nie gekommen.«
    »Wie auch?«
    Sie lachten - im gleichen Moment und in der gleichen Tonlage. Es war das spontane Gelächter von Verschworenen, die für eine kurze Gnadenpause der Wirklichkeit entfliehen können. Die Frau hatte Augen, an die sich Gre-schek noch erinnern sollte, als der Tag seiner Reise nach Breslau nur noch ein Schatten inmitten der übrigen war.
    Sie zog ein Messer aus ihrer Reisetasche und nickte. Weil sie nicht nur ein freigebiges Herz, sondern auch einen Instinkt für Menschen und das Ungesagte hatte, schnitt sie von einem Laib Roggenbrot, den sie aus ihrem Koffer holte, vier dicke Scheiben ab. Vor ihren frappierten Reisegenossen, der seinen Mund aufriss, ohne dass ihm nur ein Wort einfiel, das er hätte sagen können, stellte sie ein mit Leberwurst gefülltes Rexglas hin.
    »Greifen Sie ruhig zu. Hier sieht uns ja niemand. Nein, Sie nehmen meinen Kindern nichts weg. Ihre Mutter bringt diesmal mehr von der nützlichen Verwandtschaft auf dem Land mit als der Weihnachtsmann und der Osterhase zusammen. Ich nehme an, Sie haben einen Grund, weshalb Sie nicht an die Vorräte gehen, die ich in Ihrem Koffer vermute. Der Harzer Käse hat Sie schon in Ratibor verraten.«
    »Ich hab zu Hause gleich gesagt, Käse ist Quatsch«, kaute Greschek. Er sann darüber nach, wie er der Frau ein Kompliment machen könnte, ohne dass er ihr zu forsch oder - schlimmer noch - wie ein Bauerntölpel erschien. Weil er jedoch einen zu großen Bissen im Mund hatte, konnte er noch nicht einmal mit den Zähnen knirschen, als er die Gelegenheit verloren gab, sich als Weltmann zu erweisen. Er griff in seine Jackentasche, holte ein flaches Fläschchen in einem Etui aus grünem Filz heraus und hielt es dem Engel mit der Leberwurst hin. »Kroatz-beere«, sagte er.
    »Ist das zum Trinken?«
    »Und wie!«
    »Wir sollten«, schlug sie nach einem gewaltigen Schluck vor, »abwechselnd ein Nickerchen tun, falls uns danach ist. Sonst haben wir am Ende statt drei Koffern vier.
    Selbst honorige Leute sind ja nicht mehr von der Meinung abzubringen, dass Diebstahl keine Sünde ist. Das fängt ganz oben an.«
    »Ganz oben«, stimmte Greschek zu. Er hätte Gretes gesamten Mehlvorrat und zwei Flaschen Schnaps verwettet, dass er viel zu sehr auf der Hut war, um sich auch nur eine Mütze Schlaf zu gestatten. Weil er aber der Spenderin von Brot und innerer Wärme zeigen wollte, dass er jeden ihrer Vorschläge für gut befand, schloss er die Augen, folgsam wie ein Kind, das zu müde ist, um sich gegen die Autorität der Mutter zu wehren.
    Ehe er einschlief, verlor er sich in einem Irrgarten

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