Nur die Liebe heilt
zudem Anwalt und ließ – zusammen mit seinen Partnern – nichts unversucht, damit sein Sohn für seinen Fehler nicht geradestehen musste.
Dieser kleine Scheißer hatte das Leben seiner Tochter zugrunde gerichtet. Während er auf seinem Fünftausend-Dollar-Rad durch die Stadt strampelte und Eis kaufte, war Taryn gezwungen, zahllose Behandlungen und Spritzen über sich ergehen zu lassen, konnte kaum ihre dringendsten Bedürfnisse äußern und verbrachte ihre Tage in einem Rollstuhl. Dabei sollte sie tanzen und rennen und das Leben als Teenager genießen.
Ihn in die Eismaschine zu stecken erschien Brodie da noch zu harmlos.
„Äh, wie geht es Taryn?“, fragte Charlie schließlich.
Brodie musste gestehen, dass der Junge ganz schön Mumm hatte. „Interessiert es dich wirklich? Ich kann mich nicht erinnern, dass du irgendwann in den letzten drei Monaten im Krankenhaus aufgetaucht wärst.“
Charlie hatte zumindest den Anstand, verlegen zu wirken. „Das wollte ich ja. Es ist nur … meine Eltern, ähm, also die meinten, dass ich das nicht tun sollte.“
„Klar. Warum solltest du auch der unangenehmen Wahrheit ins Gesicht sehen?“
Falls überhaupt möglich, errötete Charlie noch mehr. Brodie hätte gerne etwas Bösartiges zu ihm gesagt, aber in diesem Moment tauchten hinter ihm weitere Kunden auf, eine Familie in Shorts und mit Baseballkappen. Und was hätte es denn auch gebracht? Den Jungen anzubrüllen half Taryn auch nicht weiter, und er selbst würde sich hinterher vermutlich auch nicht gerade besser fühlen.
Kurz darauf rief Hannah: „Hier, bitte sehr, Mr Thorne. Und richten Sie Taryn aus, dass wir alle für sie beten, ja?“
Er zwang sich zu einem höflichen Lächeln und erwähnte nicht, dass Gebete bisher nicht sonderlich geholfen hatten.
„Das werde ich ihr ausrichten. Und danke für das Eis. Es wird ihr bestimmt schmecken.“
Hannah zögerte. „Wäre es in Ordnung, wenn ich ihr ab und zu mal eines vorbeibringe, jetzt, wo sie wieder zu Hause ist?“
Das war ein nettes Angebot von ihr, vor allem, da ihre Freundschaft zu Taryn nach der Grundschule deutlich abgekühlt war. „Da würde sie sich bestimmt freuen.“
Charlie verfolgte ihr Gespräch. „Moment. Sie ist wieder zu Hause?“, erkundigte er sich.
„Hast du nicht die ganzen Schilder in der Stadt gesehen?“, fragte Hannah etwas schärfer, als es typisch für sie zu sein schien. „Mr Thorne bringt sie gerade nach Hause. Deswegen kauft er ihr hier ein Eis und nicht in Denver.“
Eine interessante Mischung von Gefühlen wanderte über Charlies Gesicht, stellte Brodie fest. Er wirkte froh, zugleich aber unglücklich und wachsam. „Dann ist sie okay?“
Chief McKnight würde ihn wahrscheinlich nicht verhaften, wenn er „aus Versehen“ das Shave Ice über Charlies Kopf schüttete, oder? „Klar“, antwortete er brummend. „Wenn ‚okay‘ bedeutet, dass jemand rund um die Uhr Pflege braucht, nur ein paar Worte sagen und nicht einmal dieses Eis selbst essen kann. Dann ist sie wohl okay . Im Gegensatz zu Layla Parker.“
Es war grausam, so etwas zu sagen, das wusste er, und er fühlte sich mies, als Charlie nach Luft schnappte, als ob Brodie ihm einen Schlag in die Magengrubeverpasst hätte. Der Junge starrte ihn lange an, dann stieg er wieder auf sein Mountainbike und radelte davon, ohne sein Eis mitzunehmen.
Brodie stand noch einen Moment wie ein Idiot da und sah ihm hinterher, dann schüttelte er den Kopf. Während er zurück zum Wagen ging, versuchte er, den Vorfall zu vergessen. Heute war doch ein guter Tag, nicht wahr? Das war viel wichtiger als dieses miese kleine Großmaul.
Er öffnete die linke Hintertür – die ohne Rampe – stellte den Eisbecher in den Getränkehalter und steckte den Löffel in Taryns Eis.
„Bitte schön, Liebling. Blau. Genau, wie du es wolltest.“
Wieder schenkte sie ihm dieses schiefe Lächeln, das – wie die Ärzte ihn gewarnt hatten – womöglich dauerhaft war, dann öffnete sie den Mund.
„Mmmm“, sagte sie, also gab er ihr einen weiteren Löffel und wischte ihr den Mund ab, als etwas von dem Eis aus den Mundwinkeln tropfte.
„Reicht das erst mal? Du kannst mehr haben, wenn wir zu Hause sind.“
„Ja“, antwortete sie und lächelte wieder. Sein Herz schmerzte vor lauter Liebe zu ihr. Wie furchtbar, dass erst dieser schreckliche Unfall hatte geschehen müssen, um ihn wieder daran zu erinnern, wie viel sie ihm bedeutete.
„Alles in Ordnung?“, fragte seine Mutter, als sie
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