Nur die Liebe heilt
mehr das witzige Mädchen von früher war und sich nicht einmal richtig mit jemandem unterhalten konnte.
Diese kleine Geste war immerhin etwas . Nur darum geht es, dachte er, während seine Mutter auf all die anderen Willkommensgrüße zeigte und Taryn bei jedem einzelnen leicht lächelte.
Weitere Grußschilder hingen an den Läden, unter anderem am String Fever , dem Café und sogar an Maura Parkers Buchladen.
„Wir hätten auch etwas am Sportladen und den Restaurants aufhängen sollen“, sagte Brodie. „Ich habe einfach nicht daran gedacht.“
„Wir hatten auch ein paar andere Dinge im Kopf.“
„Das stimmt allerdings.“ Er lächelte, erneut dankbar für die bedingungslose Unterstützung seiner Mutter. Ohne sie hätte er die letzten Monate kaum durchgestanden.
Schon immer hatte er seine Mutter geliebt, aber lange hatte sich eine vage Wut daruntergemischt. Er hatte nicht verstehen können, dass eine so freundliche und großzügige Frau wie seine Mutter bei einem Mann wie seinem Vater blieb, einem harten, kompromisslosen Menschen ohne Sinn für Humor und wenig Geduld für einen Sohn mit Lernschwierigkeiten und einem Aufmerksamkeitsdefizit.
Doch diese Wut war nun weit weg und unwichtig. Wahrscheinlich lernte man als Erwachsener seine Eltern erst richtig zu schätzen, wenn man mit ihnen zusammen einen wirklich schweren Weg zurückgelegt hatte.
Sie wurde älter. Das war die ernüchternde Realität, die jetzt in dem harten Sonnenlicht nur allzu deutlich wurde. Da waren neue Falten um ihren Mund und graue Strähnen in ihrem normalerweise immer perfekt gefärbten Haar.
„Du solltest in den nächsten Wochen mal Urlaub machen“, sagte er plötzlich. „EineKreuzfahrt oder eine Reise in die Provence oder so etwas. Das hast du dir weiß Gott verdient, und wir kommen bestimmt mal einen Monat ohne dich zurecht.“
„Vielleicht nächstes Frühjahr, wenn sich alles etwas eingespielt hat.“
Das Frühjahr schien ihm im Moment noch sehr weit entfernt. Die Espen färbten sich gerade blassgold an den Rändern – in wenigen Monaten würde Hope’s Crossing tief verschneit sein, und die Skifahrer würden zurückkehren wie die Schwalben nach Capistrano.
„Eis“, sagte Taryn plötzlich.
Einen Moment überlegte er, ob sie irgendwie seine Gedanken gelesen hatte. „Es ist August, Liebling“, sagte er dann. „Hier gibt’s in den nächsten Monaten sicher kein Eis.“ Die Vorstellung, bei Schnee und Eis mit dem Rollstuhl in der Stadt unterwegs zu sein, war erschreckend, aber vielleicht brauchten sie ihn bis dahin ja nicht mehr.
„Eis!“, sagte sie eindringlicher und sah mit größerer Lebhaftigkeit aus dem Fenster. So temperamentvoll hatte er sie seit langer Zeit nicht mehr erlebt. Er warf seiner Mutter einen kurzen, ratlosen Blick zu. Sie zuckte nur mit den Schultern.
Einen Moment später fuhren sie an einem kleinen Stand vorbei, der wie eine Schweizer Berghütte aussah. Einige Leute saßen mit ihren Styroporbechern voll Shave Ice in der Hand unter den Sonnenschirmen an Tischen, und da endlich ging ihm ein Licht auf.
„Ach so! Eis!“, rief er aus.
Taryn lächelte ein wenig schief und nickte, und er fühlte sich, als wäre er gerade eine schwarze Piste auf frischem Pulverschnee hinuntergewedelt.
Obwohl er es kaum erwarten konnte, sie nach Hause zu bringen und mit der nächsten Etappe dieser verrückten Reise zu beginnen, auf der sie sich seit April befanden, musste er zugeben, dass Taryn ihn nie um etwas gebeten hatte. Jetzt hatte sie erstmals einen Wunsch ausgesprochen, und – noch wichtiger – er hatte sie verstanden! Das war ein ganz besonderer Moment, der gefeiert werden musste, unabhängig von der Tatsache, dass sie nicht in der Lage wäre, den Eisbecher selbst in der Hand zu halten.
„Du möchtest ein Eis, du bekommst ein Eis, Liebling.“
Er wendete den Wagen und fand wie durch ein Wunder einen breiten Parkplatz zwischen einem schicken roten Cabrio und einem voll beladenen Kleinbus. Noch waren jede Menge Sommergäste hier – den größten Touristenansturm hatte er allerdings durch seine Zeit in Denver verpasst.
„Welche Sorte?“
Sie runzelte die Stirn, während sie nachdachte, dann schenkte sie ihm ein Lächeln, das nur ein Schatten ihres früheren frechen Grinsens war. „Blau.“
Nun, das sollte wohl blaue Himbeere bedeuten. Das jedenfalls war vor ihrem Unfall ihre Lieblingssorte gewesen, und es beruhigte ihn, dass er trotz der gewaltigen Veränderungen noch immer viel Altbekanntes an
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