Nur die Nacht war Zeuge (Mord Azur) (German Edition)
Laufe der Zeit gesteigert. Sie spürte sie jetzt schon körperlich.
Trotz all der Ungewissheit, die seit dem Ausscheiden von Julien herrschte, musste die Zukunft, das heißt die wenigen Monate oder Wochen, die es noch eine VMC, Smith, Henderson gab, die Kundenberatung, die täglichen Aufgaben erledigt werden.
Yvonne, die Sekretärin von Julien, hatte Anne erzählt, dass sich Piet Drachmann um die verbliebenen Kunden von Juliens Abteilung nicht kümmerte. Das konnte so nicht bleiben, auch nicht für eine kurze Zeit.
Mit kampfbereiten Augen betrat Anne-Sophie das Bürogebäude. Bernard folgte ihr mit leicht gesenkten Schultern.
„Mal sehen, was der Drachen zum Umzug der Firma zu sagen hat und, wichtiger noch, würde er nach Nizza mitgenommen werden?“
„Harry Miller wird seinen Untertan nicht im Stich lassen“, meinte Bernard.
„Untertan, köstlich“, Anne-Sophie lachte schallend, „das ist die treffendste Bezeichnung für das Würstchen.“ Wie weit man es doch als Untertan bringen konnte, dachte sie und ein Faltengebirge bildete sich auf ihrer Stirn. Sie sperrte die Eingangstür auf und verschwand mit eiligen Schritten im rechten Gang, um ihre Unterlagen für das Gespräch aus ihrem Büro zu holen. Bernard ging direkt in den Konferenzraum, er war Art Director, er brauchte keine Unterlagen.
Der Konferenzraum lag im Norden und bekam wenig Licht ab, besonders am Morgen wirkte der weiß gekälkte Raum noch kälter und unbehaglicher. Bernard saß an seinem angestammten Platz, die Ellbogen aufgestützt, die Hände im Nacken. Piet Drachmann erschien mit seiner Kaffeetasse in der Hand, die klappernde Geräusche von sich gab, da seine Hände wie immer ein wenig zitterten. Mit gespielt guter Laune setzte er sich ihm gegenüber. Etwas manieriert schlug er ein Bein über das andere, wie immer trug er weiße Socken, die er, seit er in Amerika gewesen war, zu egal welcher Kleidung trug.
Anne-Sophie betrat den Raum mit einem Stapel von Papieren und nahm neben Bernard Platz. Sie begrüßte Piet Drachmann mit einem undeutlichen „Morgen“ und machte sich daran, die Papiere in einzelne Häufchen aufzuteilen. Piet Drachmann betrachtete sie dabei mit hochgezogenen Brauen und der Andeutung eines ironisch amüsierten Grinsens.
„Sie wissen,“, sagte Anne-Sophie mit einem kurzen Blick zu Piet Drachmann, „wir müssen die Agentur organisieren, Kompetenzen klären, damit wir nach Herrn Villepins Ausscheiden aus der Firma besser funktionieren. Noch hat sich Amerika nicht geäußert, ob wir alle umziehen oder eine neue, unabhängige Agentur eröffnet wird.“
Piet Drachmann verzog keine Miene, mit gespielter Ruhe betrachte er Anne-Sophie.
„Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie endlich Zeit gefunden haben, die von Bernard und mir erarbeiteten Vorschläge zu besprechen“, sagte Anne-Sophie.
„Ihre Papiere interessieren mich nicht“, sagte Piet Drachmann, seine toten Karpfenaugen blickten kalt durch die Brille. „Ich erkenne Sie und Ihre Vorschläge nicht an, kurz, ich streite Ihnen jegliche Fähigkeiten, Geschäfte zu führen, ab“, sagte er dann und wartete lauernd auf die Wirkung seiner Worte. Für eine kurze Zeit herrschte bleierne Stille im Raum.
„Das darf doch nicht wahr sein“, empörte sich Anne-Sophie und lachte kurz auf. „Wir beide waren in einer weiß Gott größeren Agentur als dieser hier sehr erfolgreich tätig.“
„Tja“, sagte Piet Drachmann und hob seine dünnen Arme, „da mag es funktioniert haben. Hier nicht.“
„Das sagen Sie.“
„Was für Vorwürfe haben Sie denn“, fragte Bernard mit heiser klingender Stimme.
„Vor einem Jahr hatte ich Madame Marrais gebeten, nicht zu dem Meeting nach Marbella zu fliegen, da wir an jeder Ecke sparen mussten. Sie ist dennoch gefahren. Macht das ein verantwortlicher Geschäftsführer?“
Anne-Sophie lachte empört auf. „Was sind denn das für alte Kamellen. Ich hatte eine offizielle Einladung von Harry, warum sollte ich mir die von Ihnen streitig machen lassen. Und außerdem wollte ich endlich mit Mr. Calvin die Unklarheiten über weitere Stammkapitaleinzahlungen von Bernard und mir besprechen.“
„Das hätte Zeit gehabt. Mr. Calvin kommt immer zur Halbjahresbilanz in unsere Büros.“
„Nein, das hatte keine Zeit gehabt, Sie wissen ganz genau, dass die Eintragung ins Handelsregister dadurch weiter verzögert wird.“
Piet Drachmann tat den Einwand mit einem schiefen Lächeln ab.
„Was noch?“ fragte Bernard in strengem
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