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Nur dieser eine Sommer

Nur dieser eine Sommer

Titel: Nur dieser eine Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Alice Monroe
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bitte Ihre Mutter sprechen?“
    Die Frage war Cara in über zwanzig Jahren nicht mehr gestellt worden. Cara blinzelte verschlafen und ließ den Blick durch das Wohnzimmer schweifen. Im Haus war es mucksmäuschenstill.
    „Sie ist nicht hier.“
    „Aber … aber ich habe Schildkrötenspuren gefunden!“
    Der aufgeregten Stimme nach zu urteilen, handelte es sich bei der Anruferin offensichtlich um eine Dame, die gerade erst zu Lovies ehrenamtlichen Aktivistinnen beim so genannten „Turtle Team“, den Schildkrötenschützern der Isle of Palms, gestoßen sein musste. „Wie schön!“ gab Cara zurück. „Danke. Ich werd’s ihr ausrichten, sobald sie zurück ist.“
    „Halt! Wollen Sie denn nicht wissen, wo die Spuren sind? Ich stehe hier am Strandzugang an der 6th. Avenue. Was soll ich denn jetzt machen? Etwa hier warten?“
    Cara seufzte. Ihre Zerschlagenheit ließ ein wenig nach. „Also wirklich, ich kann Ihnen beim besten Willen nicht sagen, wie Sie sich verhalten sollen. Und ohne eine Tasse Kaffee bin ich sowieso nicht imstande, einen klaren Gedanken zu fassen.“
    Von draußen vernahm sie Schritte. Offenbar stapfte jemand die Stufen zur Veranda herauf. Gott sei Dank! Rettung in letzter Minute.
    „Augenblick“, rief sie in den Hörer. „Ich glaube, da kommt sie gerade!“ Cara zog das Kabel des antiquierten schwarzen Apparats straff und lugte um die Ecke. Die Haustür flog auf. Doch statt ihrer Mutter betrat eine junge Frau so selbstsicher das Haus, als wohne sie hier. In vornüber gebeugter Haltung mühte sie sich mit einer Anzahl Einkaufstüten voller Lebensmittel ab, wobei ihr das wuschelige blonde Haar über Stirn und Augen fiel. Sie keuchte leicht und versetzte der Tür mit dem Absatz einen Stoß, sodass sie ins Schloss fiel.
    Einen bedrohlichen Eindruck machte die junge Dame freilich nicht. Eine Schwangere wirkt eben selten gefährlich. Die Frau trug ein sehr kurzes Umstandskleid mit pastellfarbenem Blumenmuster, ein billiges Etwas aus dünner Kunstseide, dessen Saum vorn, wo der Stoff sich über dem Bauch spannte, hoch vom Körper abstand. Als sie sich aufrichtete und das Haar aus dem Gesicht strich, bemerkte sie, dass sie von Cara beobachtet wurde. Beider Blicke trafen sich.
    Cara zuckte zurück und zog ihr T-Shirt über den Slip. Die Unbekannte hingegen schien nicht im Mindesten überrascht, hier auf Cara zu treffen, die nun, gegen die Korridorwand gelehnt, hören konnte, wie die geheimnisvolle Fremde sich ohne ein Wort der Begrüßung in die Küche begab und die Schranktüren auf- und zuklappte, als führe sie im Hause das Regiment.
    „Entschuldigung!“ rief Cara energisch zu ihr hinüber. „Wer sind Sie denn?“
    „Hat Ihre Mama mich etwa nicht angekündigt?“ erwiderte die Frau. Ihr gedehnter Südstaaten-Akzent verriet das Mädchen vom Lande.
    Blitzartig wurde Cara bewusst, dass sie am Vorabend eingeschlafen war, ohne gegessen und ihrer Mutter eine gute Nacht gewünscht zu haben. Über Pläne zu sprechen, über Besucher oder über ein Mädchen, das möglicherweise am Morgen auftauchen würde – dazu waren sie überhaupt nicht gekommen. Nach Caras Einschätzung stammte die junge Frau aus der Nachbarschaft oder war eine Art Hilfskraft, die für Lovie einkaufen ging.
    Aus dem Telefonhörer drang die aufgeregte Stimme der Schildkrötennovizin. „Hallo? Sind Sie noch da?“
    „Hier ruft jemand völlig aufgelöst wegen einer Schildkröte an!“ verkündete Cara der Frau. „Wissen Sie, wo meine Mutter steckt?“
    „Bin schon unterwegs!“ tönte es aus der Küche.
    Die Stimme kam näher, und im nächsten Augenblick stand die Fremde auch schon direkt vor Cara. Nun konnte Cara ihr Gesicht erkennen: Es war nicht das Gesicht einer erwachsenen Frau, sondern das eines Teenagers, das Gesicht einer Puppe mit runden Wangen und vollem Kussmund, und durchaus sexy. Die Fremde war überraschend jung. Verblüfft ließ Cara den Blick zu dem gewölbten Leib hinunterwandern. Automatisch legte das Mädchen die Hand auf die Bauchrundung. Als Cara wieder aufschaute, erkannte sie in den hellgrauen, mit dunklem Kajal akzentuierten Augen der Schwangeren eine eisige, herausfordernde Kälte, die das junge Mädchen fast aggressiv wirken ließ und Cara schlagartig auf die Nerven ging. Mit leicht hoch gezogenen Brauen, sodass es einem spöttischen Feixen schon sehr nahe kam, starrte die Fremde zurück und musterte Cara sowie deren spärliche Bekleidung. Einen Moment lang standen die beiden einander gegenüber und

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