Nur dieser eine Sommer
taxierten sich schweigend.
Wieder quäkte zwischen ihnen die Stimme der Anruferin aus dem Hörer. „Hallo? Hören Sie mich?“
Das Mädchen streckte die Hand aus, drehte die Handflächen nach oben und krümmte fordernd die Finger.
Cara blickte zwar indigniert, übergab jedoch den Apparat an die Schwangere. Die drehte Cara demonstrativ den Rücken zu und begann ein Gespräch mit der Anruferin, ließ sich den Standort bestätigen und erteilte Anweisungen mit einer Selbstsicherheit, die vermuten ließ, dass sie dies nicht zum ersten Mal tat.
Nun guck sich einer den kleinen Frechdachs an! Cara war ehrlich entrüstet. Dann aber gewann die Müdigkeit endgültig die Oberhand. „Ach, was soll’s“, brummte sie, machte kehrt und begab sich zu ihrem Zimmer zurück. Zumindest wusste die Kleine, wer immer sie auch sein mochte, wie man diese aufdringliche Anruferin abfertigen musste. Auf dem Weg bemerkte Cara, dass die Tür zum einstigen Zimmer ihres Bruders offen stand. Als sie kurz hineinschaute, fielen ihr das zerwühlte, ungemachte Bett sowie ein rosarotes, gerüschtes Nachthemd auf, das auf den Laken lag.
Der Groschen fiel sofort; bei Cara setzte Enttäuschung ein. Offenbar war das Mädchen ein Feriengast. Von wegen gute Absichten und trautes Wiedersehen von Mutter und Tochter! Das Sommerhaus bot ja kaum Raum für sie beide! Zu dritt musste man schlichtweg Platzangst bekommen. Ausgeschlossen, dieser eigensinnigen werdenden Mutter, die ihrerseits von ihr, Cara, alles andere als begeistert zu sein schien, aus dem Wege zu gehen. Hätte ich gewusst, dass das Cottage an Sommerfrischler vermietet ist, dann …
Cara schnappte sich ihr Kissen vom Boden, schleuderte es auf das Bett zurück und ließ sich lustlos auf das Laken fallen. Was erwarte ich eigentlich, grübelte sie. Mutter hat schon immer anderen den Vorzug gegeben. Vor mir kamen stets mein Bruder, mein Vater und sogar die vielen Besucher, die sich allem Anschein nach im Familiensitz in Charleston die Klinke in die Hand gaben.
Das Haus am Meer allerdings, das war immer etwas anderes gewesen. Cara hatte gehofft, hier werde …
Sie presste die Lippen aufeinander. Was war sie für eine Närrin gewesen! Dabei hatte sie doch schon vor ihren Teenagerjahren gelernt, ihrer Wege zu gehen und nicht zu viel zu erwarten. Auf einmal kam ihr das Zimmer im durchdringend hellen Licht der Morgensonne nicht mehr so zauberhaft wie gestern vor. Die altmodische Tagesdecke war von der Sonne ausgeblichen, die Wandfarbe vergilbt. Zwar bauschte eine sanfte Brise die fadenscheinigen Gardinen, doch ohne Klimaanlage würde es bis spätestens Mittag drückend schwül werden. Allmählich bereute Cara den überstürzten Entschluss, nach Hause zurückzukehren.
Die ersten Vorboten von Kopfschmerzen, verursacht durch zu viele stressige Tage und zu wenig Schlaf, machten sich nun deutlich bemerkbar. Cara streckte sich auf dem Bett aus, hieb ein paar Mal mit der Faust ins Kopfkissen und überließ sich mitsamt ihren quälenden Gedanken einem tiefen, traumlosen Schlaf.
Unruhig mit dem rechten Fuß wippend, stand Toy Sooner an der Küchenspüle, wusch die Glaskanne aus und füllte den Wasserbehälter der Kaffeemaschine. Dann häufte sie sechs Maßlöffel Kaffeepulver in den Filter und schaltete das Gerät ein. Sie wusste, dass Lovie nach der Rückkehr von ihrer Schildkrötenpatrouille stets gern ihre Tasse frisch aufgebrühten Kaffee genoss. Zudem hatte Toy eine Schachtel Doughnuts gekauft. Für mehr reichte ihr Geld nicht; es gab nicht viel, womit sie beweisen konnte, wie dankbar sie Miss Lovie war. Außerdem bekräftigte Lovie stets aufs Neue, dass sie keine Dankbarkeit erwarte. Doch genau deswegen hätte Toy sich gern umso mehr erkenntlich gezeigt.
Dass Mitmenschen ihr etwas schenkten, ohne ihrerseits auf eine Gegenleistung zu hoffen, das war völlig neu für Toy, und dass sie hier bei Miss Lovie eine Bleibe gefunden hatte, kam ihr wie die Erfüllung eines Wunschtraums vor. So gut hatte sie es noch nie im Leben gehabt. Sogar ein eigenes Zimmer stand ihr zur Verfügung, eins für sie allein! Und die Krönung des Ganzen: Niemand zankte mit ihr herum oder keifte sie pausenlos an. Vor ihrer Bekanntschaft mit Miss Lovie hatte sie auch nicht annähernd geahnt, wie angenehm gemeinsam eingenommene Mahlzeiten sein konnten, mit sauberem Tischtuch, Servietten und richtigem Besteck. Bei jedem Essen, wohlgemerkt!
Und gespeist wurde regelmäßig. Beileibe nicht die schnelle Dosensuppe vor dem Fernseher oder
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