Nur dieser eine Sommer
der Mac aus der Schachtel, nein, ordentliche Gerichte mitsamt Gemüse. Lovie unterhielt sich außerdem mit ihr wie mit einer ernst zu nehmenden Gesprächspartnerin und behandelte sie nicht wie eine törichte, undankbare Göre, die sich, dumm wie sie war, ein Balg hatte andrehen lassen, wie Toys Eltern es ausdrückten. Die hatten sich kurz in der Tür des Wohnwagens blicken lassen und ihre Tochter, die sich in ihrer Not an Vater und Mutter wandte, abgewimmelt. „Wer erwachsen genug ist, um bei diesem Darryl zu hausen, der kann auch auf sein Balg selber aufpassen.“ Das hatten sie ihr an den Kopf geworfen. Und die wollten Eltern sein? Selbst als sie ihnen beichtete, Darryl sei handgreiflich geworden, verweigerten sie jede Hilfe. „Du hast dir die Suppe eingebrockt, nun löffele sie auch aus.“ Mehr hatten sie nicht zu sagen. Höchstens noch, dass sie in die Kirche gehen und den Herrgott demütigst um Vergebung ihrer Todsünde anflehen solle.
Lovie hingegen wiederholte ein ums andere Mal, dass Liebe niemals Sünde sein könne. Im Gegenteil, wer nicht liebe, der begehe die schlimmste aller Verfehlungen, meinte sie. Und was Miss Lovie äußerte, das glaubte Toy, denn eine noch gottesfürchtigere Person als Miss Lovie war ihr im Leben nicht begegnet. Miss Lovie sorgte irgendwie dafür, dass Toy mit sich und ihrer Lage besser zurechtkam, statt sich wie eine Versagerin zu fühlen oder gar noch schlimmer als das: wie eine, die sich weggeworfen hat. Das nämlich war das Gefühl, das ihre eigene Mutter ihr vermittelt hatte.
Genau deswegen hätte Toy fuchsteufelswild darüber werden können, dass Miss Lovies leibliche Tochter offenbar nicht zu würdigen wusste, welches Glück sie mit ihrer Mutter hatte. Diese Cara sollte mal einen einzigen Tag mit meiner Frau Mama zubringen, überlegte Toy verdrossen. Die würde sich wundern!
Als sie seinerzeit informiert worden war, dass Caretta Rutledge kommen wolle, da hatte Toy gleich geahnt, dass dieser Besuch nichts Gutes verhieß. Miss Lovie hatte ihr mal erzählt, ihre Cara sei irgendein hohes Tier in einer großen Werbeagentur in Chicago. Das passte, befand sie jetzt, nachdem sie der Frau begegnet war. Diesen Menschenschlag, den kannte Toy. Daran, dass diese Zeitgenossen zufällig im richtigen Stadtteil aufgewachsen waren, die renommiertesten Schulen besucht hatten, stets schicke Klamotten trugen oder in tollen Häusern wohnten, lag es nicht allein. Nein, tief in der Seele hielten Mädchen wie Cara sich für etwas Besseres. Die brauchten sich nicht zu beweisen.
So bleiben die Reichen reich, sinnierte Toy. Die betrachten sich als exklusiven Verein, halten sich an einen Geheimcode, den nur sie verstehen und in den sie keine Außenstehenden einweihen. Als ob sie, Toy, je vorgehabt hätte, diesem Club beizutreten … Allein der Blick, mit dem Cara sie gemustert, ihren dicken Bauch inspiziert hatte, war deutlich genug gewesen: eine Abfuhr erster Güte. Von oben herab behandelt zu werden, davon konnte Toy ein Lied singen. Doch es tat schon weh, wenn man sich in diesem Haus, in dem sie sich unendlich wohl gefühlt hatte, derart minderwertig vorkam.
Mit einem Schwamm wischte sie das verschüttete Kaffeemehl auf. Dass alles im Haus seine Ordnung hatte, gefiel ihr; es machte ihr regelrecht Spaß, alles blitzblank zu putzen. Sie selbst war in einem schrecklichen Chaos aufgewachsen; überall hatten Zeitungen und Kleidungsstücke herumgelegen, nie wurde die Wäsche gewaschen. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie je sauber gefaltete Handtücher im Wäscheschrank vorgefunden oder mal ein Blumenstrauß auf dem Tisch gestanden hätte. Hier im Sommerhaus lebte man dagegen wie in einer anderen Welt. Sie brauchte nur die Küchenvitrine zu öffnen und das säuberlich aufgestapelte Porzellan, all das fein zueinander passende Geschirr anzuschauen. Jedes Mal überlief sie dabei ein Glücksgefühl.
Ausziehen würde sie nur ungern. Lovie wollte zwar, dass Cara den ganzen Sommer hier verbrachte, doch Toy glaubte nicht recht, dass die Tochter es so lange aushalten würde. Toy hatte allerdings nicht die Absicht, ihr den Aufenthalt zu verderben, schon allein aus Rücksicht auf Miss Lovie. Sie konnte sich zwar keinen Reim darauf machen, doch Miss Lovie legte großen Wert auf diese gemeinsamen Tage mit der Tochter. Und Lovie Rutledge zuliebe hätte Toy fast alles getan.
Mittlerweile war die Küche vom Duft frisch aufgebrühten Kaffees erfüllt. Toy hatte gerade die Doughnuts auf einem hübschen Teller
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