Nur ein Blick von dir
Marina. »Und ein bisschen Körperertüchtigung tut immer gut.«
»Ich kann mir schon vorstellen, was du darunter verstehst«, giftete Silke. »Und das spare ich mir lieber.«
»Wir hatten einen etwas unglücklichen Start«, erklärte Marina. »Das merke ich jetzt. Lass uns doch einfach noch mal von vorn anfangen.«
»Okay«, sagte Silke. »Ich stelle mich auf die Straße, und du überfährst mich. Dann hätten sich alle Probleme erledigt.«
Marina lachte. »Nun komm schon. Walken tut uns beiden gut. Und was soll ich dir im Wald schon antun?«
»Da könnte ich mir einiges vorstellen«, sagte Silke. Aber es war seltsam. Je länger sie mit Marina sprach, selbst wenn sie sich angifteten, desto mehr erschien ihr Marinas Angebot verführerisch. Jedesmal, wenn sie Marina traf, war es irgendwie . . . aufregend.
Sie ist nicht mein Typ, erinnerte sie sich selbst. Sie ist überhaupt nicht mein Typ! Aber vielleicht war es gerade das. Wenn Marina nicht ihr Typ war, bestand keine Gefahr, sich zu verlieben. Es wäre alles ganz unverbindlich, von Anfang an. Keine Erwartungen, keine Gefühle, keine Enttäuschungen.
»Ich denke darüber nach«, sagte sie. »Aber erst mal muss ich meine Wäsche bügeln.«
»Mittwoch Abend?«, fragte Marina. »Sechs Uhr? Auf dem Parkplatz?«
»Verlass dich nicht drauf«, erwiderte Silke und legte auf.
Sie nahm den Wäschekorb hoch, brachte ihn auf die andere Seite und stellte das Bügelbrett auf. Während das Bügeleisen über die Wäsche glitt, hatte sie Zeit, über alles nachzudenken.
Sie hatte so oft daran gedacht, wie es sein würde, wenn Gaby endlich ausgezogen wäre. Die schrecklichsten Szenarien hatte sie sich vorgestellt. Wie sie einsam und allein auf dem Sofa sitzen und heulen würde. Doch keine Spur davon. Sie fühlte sich frei, mit einer Ruhe und Leichtigkeit, von denen sie nicht gewusst hatte, dass sie überhaupt existierten.
Das konnte nur mit etwas zusammenhängen, das sich verändert hatte. Etwas, das sie nicht erwartet hatte. Etwas – oder jemand.
Marina war eine faszinierende Frau. Sie strahlte Stärke und Ruhe aus, beides Dinge, die Silke meistens fehlten. Obwohl sie es sich selbst gegenüber nicht zugeben wollte, fühlte sie sich zu Marina hingezogen. Sie wollte es nicht, und doch war es so.
Verwundert über diesen Gedanken schüttelte sie den Kopf. Alles, was sie Marina gesagt hatte, war wahr. Sie wollte keine neue Beziehung – und schon gar nicht mit Marina. Und doch ertappte sie sich dabei, dass sie Gaby mit Marina verglich. Rein optisch war das ein Unterschied wie Tag und Nacht. Und auch sonst lagen zwischen den beiden Welten. Selbst wenn sie Marina und Gaby im Gespräch verglich, gab es da kaum Gemeinsamkeiten.
Die einzige Gemeinsamkeit war, dass sie beide nicht treu waren, dass Liebe für sie ein Fremdwort war, dass sie jede Frau abschleppten, die nicht bei drei auf den Bäumen war.
Silke seufzte und legte eine Bluse zusammen. Nicht die schönste Vorstellung. Wie hatte Marina gesagt? Von vorn anfangen? Ja, genau das wäre es: dasselbe wie mit Gaby von vorn.
Nein, danke. Darauf konnte sie verzichten.
6.
D ie Woche zog sich dahin, oder manchmal raste sie, aber jedenfalls hatte Silke das Gespräch mit Marina schon fast vergessen. Yvonne hatte sich eine böse Erkältung zugezogen und musste zu Hause bleiben, ebenso waren ein paar andere Kollegen plötzlich krank geworden, und das hieß, dass Silke fast rund um die Uhr arbeiten musste, um sie zu vertreten.
Morgens um halb acht Telefondienst, nachmittags Kundenbetreuung, und manchmal beides gleichzeitig. Es war mehr Stress, als sie ertragen konnte. Sie schlief schlecht, aß wenig und sah von Tag zu Tag abgespannter aus.
»Frau Sander, Sie werden mir doch nicht auch noch krank werden?«, sagte ihr Chef eines Morgens zu ihr, als sie zur Arbeit kam. »Das können wir uns nicht leisten.«
Komischerweise können es sich alle anderen leisten. Nur ich nicht? dachte Silke. Aber so war es immer. Die anderen legten sich beim kleinsten Kratzen im Hals ins Bett, aber die brave Silke schob natürlich Doppelschichten für alle. Nicht dass die anderen sich dann bei ihr revanchierten, wenn sie ihren Urlaub einreichen wollte. Nein, dann sollte sie sich nach denen richten, die Kinder hatten. Die hatten alle Rechte, Silke konnte nehmen, was übrig blieb.
Manchmal kotzte es sie richtig an. Was war das für ein Leben? Immer nur Arbeit, keine Liebe, keine Frau, die zu Hause auf sie wartete. Oder wenn, dann lag sie mit einer
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